Südtirol bietet Besuchern eine überraschende Getränke-Kultur, Urlaub auf hohem Niveau und atemberaubende Aussichten.
Der Vinschgau ist eigentlich bekannt für seine hochprozentigen Destillate aus Äpfeln, Birnen, Zwetschgen, Aprikosen und Trauben. Der Durchreisende, der hier Whisky erwartet, verwechselt vielleicht Hügel mit Bergen oder umgekehrt. Als ob sich die den Talboden überragenden Dreitausender in die Hochmoore der Highlands verpflanzen liessen. Schon eher nach Schottland und zu einem Castle passten die Stadtmauern des mittelalterlichen Glurns. Grell leuchten sie in unserem Rücken in der Nachmittagssonne, derweil wir verwundert die Augen reiben, als ausserhalb dieser kleinsten Stadt des Alpenraumes plötzlich ein Wegweiser auftaucht, der eine Whisky-Destillerie ankündigt. Dieses Wunder wollen wir auf keinen Fall verpassen. Also stoppen wir vor dem auffälligen modernen Gebäude. Der rote Kubus wirkt geheimnisvoll und einladend. Um dann jedem, der sich auf sein Geheimnis einlässt, in seinem Untergeschoss eine hochprozentige Überraschung zu enthüllen. Der Rundgang durch die Destillerie beginnt im eleganten Besucherzentrum und er wird, die ausladende Theke lässt es erahnen, mit dem Verkosten oder Degustieren der Spirituose auch dort enden.
95 Punkte in der Whisky-Bibel
Marketingchef Lukas Ebensperger begleitet uns durch die Produktionsanlage der ersten und bisher einzigen Whisky-Destillerie Italiens, die er zusammen mit seinem Bruder Jonas, dem Brennmeister und Manager‚ und seinen Eltern Albrecht und Daniela minutiös geplant und gebaut hat. Wir können also anschaulich verfolgen, wie der edle Saft entsteht. Und Schottland ist durchaus Vorbild. Die Brennblasen zum Beispiel sind original schottisch. Kupferschmiede haben sie in aufwendiger Handarbeit im schottischen Rothes geformt. Unter fachkundiger Beratung von ebenfalls schottischen Experten wurden sie dann in Glurns als kupfernes Herzstück der Destillerie installiert.
«Wir sind die Highlander Italiens», verkündet Lukas Ebensperger und es tönt ernsthaft und ironisch zugleich. Die Produktion von Whisky sei jedenfalls keine Hexerei, schiebt er nach. «Man benötigt dafür Getreide, Wasser und etwas Hefe.» Im Schnellverfahren geht es nun für die Besucher durch den Produktionsprozess, der in Wirklichkeit viel länger dauert. Wir starten bei der Malzmühle, auch sie ein schottisches Original, das schon fünfzig Jahre auf dem Buckel hat. Das Getreide wird hier – beim Mälzen – zum Keimen gebracht. Dann wird es mittels Mühle geschrotet und mit heissem Wasser vermaischt. Die dadurch aktivierten Enzyme wandeln Stärke in Zucker um. Das Ergebnis, die sogenannte süsse Würze, vergärt dann mittels Hefe zu einem destillierbaren «Bier». Jetzt ist die Erfahrung des Brennmeisters gefragt. Von seiner Nase und seinem Gaumen hängt es ab, dass nach mehreren Brennvorgängen im richtigen Moment der gute vom schlechten Alkohol, also Ethanol von Methanol, sauber getrennt wird. Das Destillat gelangt erst in die Eichenfässer, wenn es der Beamte der Steuerbehörden an der plombierten Anlage abgenommen hat.
Den Grundstein für die neue Whisky-Destillerie legte Baumeister Albrecht Ebensperger 2010. Zwei Jahre später ging die Anlage in Produktion. Nach etwas mehr als drei Jahren konnte 2015 der erste italienische Whisky aus dem Fass in Flaschen abgefüllt werden. Der Whisky-Papst Jim Murray verfolgte von Anbeginn sehr aufmerksam, was sich im Vinschgau tat. Bereits die Single-Malt-Abfüllung von 2017 hat er nun in seiner «Whisky Bible» mit 95 Punkten geadelt. Tatsächlich zeigt dieser Tropfen, wie wir bei der Verkostung am Ende feststellen werden, schon eine erstaunliche Reife, die man einem so jungen Destillat nicht zutrauen würde. Kaum auszudenken, wie dieser Whisky einmal als fortgeschrittener Jahrgang schmecken wird. Die Destillerie setzt beim Reifen und Ausreifen auf unterschiedliche Fasstypen. Die ersten beiden Fünfjährigen, der «Puni Gold» und der «Puni Vina», haben ihr aufregendes Geschmacksprofil in Bourbon- beziehungsweise in Marsala-Fässern gewonnen.
Im Schlafsack in der Destillerie
Die hervorragenden Resultate seiner Bemühungen nimmt Lukas Ebensperger schulterzuckend zur Kenntnis. Schliesslich haben er und sein Bruder sich gründlich in das Handwerk eingearbeitet. Als Lehrmeister wurde ein schottischer Brenner engagiert, der ein Jahr lang in Südtirol weilte. Der Juniorchef erinnert sich, wie sie in der Testphase öfters mal im Schlafsack in der Destillerie nächtigten, halbwachen Auges stets auf Uhr, Thermometer, Kessel und Bottiche spähend, dorthin, wo es brodelte, sprudelte, zischte und dampfte. «Wenn das Rezept und die Zutaten stimmen, ist alles keine Hexerei mehr», sagt der Whisky-Zauberer. Als ob Temperaturen, Tempo und technische Finessen keine Rolle spielen würden beim Brennprozess. Doch in solchen Nebensächlichkeiten verbergen sich wohl die eigentlichen Geheimnisse des Metiers, die jeder Whisky-Meister besser für sich behält.
«Wir sind die Higlander Italiens.»
Lukas Ebensperger
Besonders gespannt sind alle Beteiligten, wie sich das unvergleichliche inneralpine Klima längerfristig auf den Charakter des Whiskys auswirken wird. Jedenfalls verspricht es höchste Qualität und, wegen der extremen jahreszeitlichen Temperaturunterschiede, eine beschleunigte Reifung. Schottland ist im Vergleich dazu geradezu langweilig mit seinem einförmigen atlantischen Klima. «Wir hoffen, dass der Wechsel von Wärme und Kälte, die Trockenheit und die teilweise heftigen Winde, wie sie unser Tal prägen, zu einem besonders intensiven Geschmackserlebnis führen», so Lukas Ebensperger. Diese Rechnung könnte, wie die bisherigen Abfüllungen andeuten, durchaus aufgehen.
Ebenso zeichnet sich ab, dass es richtig war, nicht einfach schottisches Handwerk zu kopieren. Mutig haben die Südtiroler von Anbeginn mit eigenen Lösungen auf einen spezifischen Charakter des neuen Whiskys hingearbeitet: Das Gären erfolgt zum Beispiel nicht in Metallbehältern, sondern in Holzfässern aus einheimischem Lärchenholz. Wichtig, wie in jeder Destillerie, war weiter die Gestaltung des Brennblasenhalses. «Wir zielen damit auf einen geschmeidigen und eleganten Whisky», so Lukas Ebensperger.
Sterneköche, Sightseeing, Übernachtungen: Planen Sie Ihre Reise ins Südtirol mit dieser Karte.
Klicken Sie sich durch die Kapitel: Die Sterneköche Südtirols (blau), Übernachtungsmöglichkeiten (grün), Sightseeing (violett) und Südtiroler Weinarchitektur (rot) und finden Sie Ihre optimale Strecke durch das Land.