Immer mehr US-Unternehmen stellen ihre Diversity-Initiativen unter dem Druck konservativer Aktivisten ein, darunter Harley Davidson, Google, Accenture, Target, Walmart, Meta und McDonald’s. Wie schätzen Sie die Folgen dieser Entwicklung ein?

Die Folgen für die USA kann ich nicht abschätzen. Präsident Trumps Verordnungen betreffen nur staatliche Behörden, dort sind sie aber gravierend. Doch im Kern dieser Programme geht es um zentrale Werte wie Chancengerechtigkeit und Fairness, die vermutlich eine Mehrheit der Arbeitnehmenden teilt. Ich gehe davon aus, dass Firmen, denen diese Werte wichtig sind, einen Weg finden werden, ihre Programme – auch in den USA – weiterzuführen, allenfalls unter anderen Namen.

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Schwappt diese Bewegung auch zu uns rüber?

Europa erlebe ich hier differenzierter, Schweizer Firmen sowieso. Ich gehe davon aus, dass Arbeitgeber als faire Arbeitgeber am Markt wahrgenommen werden wollen, die nicht bewusst diskriminieren. Und das müssen sie auch nach aussen kommunizieren, und zwar differenziert genug. Ob dann «Diversity» draufsteht, ist für mich zweitrangig.

Welche Herausforderungen erleben Unternehmen bei der Einführung von Diversity-Programmen, und welche Lösungen haben sich als effektiv erwiesen?

Der Punkt ist folgender: Man kann nicht einfach einen Diversity-Beauftragten einstellen, der alles fixt. Das funktioniert so nicht. Solche Veränderungen sind eine klassische Führungsaufgabe. Das Thema muss wie jedes andere strategische Vorhaben angegangen und top down eingeführt werden.

Wie setzt man als Führungskraft die richtigen Schwerpunkte?

Es muss nicht immer und überall der Diversity- und Inclusion-Stempel gesetzt werden, um einen Wandel voranzutreiben. Vielfach können wichtige Anliegen aus dieser Perspektive auch in bestehende Change-Programme eingebracht werden. Eine Kultur von Respekt, eine Kultur, in der auf Augenhöhe kommuniziert wird, eine Speak-up-Culture, faire Entwicklungsmöglichkeiten: Das alles zahlt am Ende des Tages auch auf Inklusion ein, ohne es explizit so zu nennen.

Zur Person

Gudrun Sander ist Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Diversity-Managements sowie Direktorin des Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI) am Institute for International Management and Diversity Management IIDM-HSG an der Universität St. Gallen. Sie unterrichtet neben Diversity- und Inklusions-Themen auch in Strategischem Management, Leadership und Finanzieller Führung und ist Mitglied der Women’s Empowerment Principles Leadership Group (WEPs LG) der UN Women und UN Global Compact.

Wie definieren Sie eine effektive Führungsperson in einer zunehmend diversifizierten und globalisierten Arbeitswelt?

Für mich muss eine effektive Führungskraft heute viel mehr auf die Mitarbeitenden eingehen können als früher. Das heisst auch, die eigenen Muster gut zu kennen und unbewusste Vorurteile zu reflektieren, damit man fähig ist, im Team Fairness herzustellen und gleichzeitig die individuellen Bedürfnisse zu verstehen. Dazu kommt, dass das Tempo und die Fülle der Aufgaben ständig zunehmen und daher eine konsequente Delegation und Ermächtigung der Mitarbeitenden zentral ist, um die Aufgaben gemeinsam gut zu meistern.

Welche Strategien empfehlen Sie Führungskräften, um sich selbst und ihre Teams zu stärken?

Das Wichtigste ist, zu wissen, wann man Unterstützung braucht. Das kann ein kurzer Peer-Austausch sein, ein professionelles Coaching, eine externe Moderation oder gute Führungsweiterbildungen. Es hilft, sich jeweils kritisch zu fragen, was man delegieren kann und was eine Person braucht, um die Aufgabe gut zu lösen. Entscheidend ist, gut abzuwägen und weder in Selbstüberschätzung zu verfallen noch sich unentwegt rückzuversichern.

Klingt vermutlich einfacher, als es ist.

Nicht unbedingt. Je besser man seine Mitarbeitenden kennt, desto besser kann man sie begleiten, Feedback geben oder als Soundingpartnerin zur Verfügung stehen, wenn sie mit den Aufgaben Schwierigkeiten haben. Aber eines ist klar: Gute Führung braucht Zeit!

Wie werden sich Leadership und Self-Empowerment in einer zunehmend digitalen und hybriden Arbeitswelt entwickeln?

Die Komplexität steigt damit nochmals an. Beim Führen von hybriden Teams ist es zum Beispiel sehr wichtig, gemeinsam Spielregeln zu vereinbaren, die eingehalten, aber bei Bedarf auch mal wieder angepasst werden können. Eine Herausforderung ist auch, bei der Leistungsbeurteilung fair zu bleiben, wenn man einen Teil seines Teams nicht so oft sieht. Hier helfen klare Zielvereinbarungen und ein gutes Erwartungsmanagement.

Welche Rolle spielen Unconscious Biases in der modernen Unternehmensführung, und wie lassen sich diese in Entscheidungsprozessen nachhaltig reduzieren?

Es hilft schon enorm, zu verstehen, wie sie funktionieren. Sind wir gestresst, fallen wir in gelernte Muster zurück. Dann hilft es, sich Zeit zu nehmen, zu reflektieren und klare Kriterien zu haben, etwa standardisierte Interviewleitfäden oder transparente Beurteilungskriterien für Beförderungen. Auch kleinere Tricks wie ein Perspektivenwechsel helfen, etwa Aussagen nicht unnötig zu überbewerten.

Die Rolle der Frau in der Berufswelt hat in den vergangenen Jahrzehnten einen bedeutenden Wandel erfahren. Geht es um Care-Arbeit, herrscht indes längst keine Gleichheit: In 70 Prozent der Familien wird die unbezahlte Betreuungsarbeit von Frauen geleistet. Wie kommts?

Wir haben noch immer traditionelle Bilder im Kopf. Wenn das Kind krank ist, bleibt selbstverständlich die Mutter zu Hause. In der Corona-Zeit hat man das deutlich gesehen, da sind sehr viele Haushalte in die traditionellen Familienmuster zurückgefallen. Männer, die Teilzeit arbeiten, sind immer noch eine grosse Ausnahme.

Lässt sich im Teilzeitpensum Karriere machen?

Die Fakten sprechen dagegen: Rund 3 bis 4 Prozent aller Beförderungen in der Schweiz gehen an Menschen, die unter 80 Prozent arbeiten. 13 bis 15 Prozent gehen an Arbeitnehmende mit einem Pensum zwischen 80 und 90 Prozent. Der Rest ist Vollzeitmitarbeitenden vorbehalten. Das wissen die Männer, die Frauen wissen es sowieso.

«Woke» war in den letzten Jahren in aller Munde. Kritiker sagen, die Bewegung habe die Welt zum Schlechteren verändert. Was meinen Sie?

Ich würde das Ganze nicht überbewerten. Teilweise ist man sicherlich zu stark ins Detail gegangen und hat dabei die grossen Herausforderungen aus dem Blick verloren. Ein Klassiker ist der Gender-Stern in der Sprache – ein Thema, das vom Wesentlichen ablenkt. Es gibt viel grössere Hürden zu nehmen im Bereich Gender.

Zum Beispiel?

Solange Care-Arbeit nicht gleichmässig verteilt wird, werden wir nicht mehr Frauen in Topführungspositionen bringen. Das ist einfach ein Fakt. Oder das Thema Rassismus. Ich finde es schade, wenn wir uns von diesen grossen Herausforderungen ablenken lassen.