Wie steht es um die Qualität der Schweizer Weine?
Grundsätzlich ist das Qualitätsniveau in der Schweiz ausserordentlich stark gestiegen. Mittlerweile gibt es vielerorts empfehlenswerte Weine. Die beispielsweise zurzeit deutlich aufstrebende Drei-Seen-Region bringt am Bieler- und am Murtensee sortenreine Weissweine wie Sauvignons blancs, am Neuenburgersee Pinots gris und Chasselas hervor – insbesondere aber superbe Pinots noirs nach Burgundervorbild.
Welche Trends können Sie erkennen?
In der Schweiz versucht man überwiegend, beste Weine aus der Rebsorte Pinot noir zu erzeugen. Aber auch aus der Chasselas-Traube werden inzwischen ganz hervorragende Gewächse gekeltert. Diese Traubensorte wurde bisher etwas unterschätzt. Insgesamt kann man feststellen, dass sich viele Winzer erfreulicherweise auf die einheimischen lokalen Rebsorten konzentrieren. Die Merlot- und Cabernet-Geschichten sind etwas in den Hintergrund getreten.
Welche Chasselas können Sie besonders empfehlen?
Es gibt eine ganze Reihe von guten Winzern, die sehr schöne Chasselas-Weine produzieren. Zu nennen sind sicherlich Bovard aus dem Kanton Waadt oder auch Marie-Thérèse Chappaz und Denis Mercier aus dem Wallis.
Welche Schweizer Weine sollten passionierte Sammler unbedingt im Keller haben?
Die Qualität von Gantenbein- oder Donatsch-Weinen ist ja schon lange bekannt. Der absolute Kracher aktuell sind sicherlich die Gewächse von Jacques Tatasciore; allerdings handelt es sich hierbei auch um den momentan teuersten Pinot. Ausserdem sehr interessant finde ich, dass nun sogar aus dem Kanton St. Gallen bemerkenswerte Weine kommen. Früher wurde diese Region ja schlicht ignoriert und viele wissen nicht einmal, dass dort überhaupt Wein angebaut wird.
Beispiele für gute Weine aus dieser Region?
Da sind Roman Rutishauser, Stefan Hörner, Andreas Stössel (Weingut Schmidheiny) und Kaspar Wetli aus dem Kanton St. Gallen anzuführen, deren Weine sind wirklich ausgezeichnet.
Was erwarten Sie generell vom Jahrgang 2023?
Der 2023er ist ein Jahrgang der Extreme und Herausforderungen. Im Juli und August war es teilweise sehr kalt und danach wieder sehr heiss; partiell war es entweder enorm trocken oder überaus regnerisch. Dass der Herbst verbreitet mit prächtigem Wetter aufwartete, hat das Jahr in vielen Regionen noch gerettet. Allerdings nicht überall – die Toskana beispielsweise hat weniger Glück gehabt.
«Aus der Chasselas-Traube werden inzwischen hervorragende Gewächse gekeltert.»
Wie entwickeln sich die Preise weltweit?
Im Luxussegment sind die Preise in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt auch wegen der niedrigen Zinsen, markant gestiegen. Viele haben Wein als Investment gekauft, was ich persönlich immer etwas problematisch finde. Dieser Trend schwächt sich jetzt glücklicherweise ab, gerade bei den preislich überrissenen Burgundern ist klar erkennbar, dass die Preise nachgeben.
Der heute 58-jährige Philipp Schwander wuchs in St. Gallen als Sohn eines Gymnasiallehrers auf. Nach einer kaufmännischen Grundausbildung arbeitete er für die Weinhandlung Martel in St. Gallen. Insgesamt war er dort zwölf Jahre für den Einkauf verantwortlich. Gleichzeitig schrieb er regelmässig über Wein, häufig für die «Neue Zürcher Zeitung». 1996 bestand er als erster Schweizer die Prüfung zum Master of Wine. Nachdem er vier Jahre lang als Geschäftsführer einer Zürcher Weinhandlung tätig war, gründete er 2003 die Selection Schwander, die sich inzwischen zu einem der grössten Schweizer Weinimporteure entwickelt hat. 2011 erwarb er das Barockschloss Freudental bei Allensbacham deutschen Ufer des Bodensees. Zudem produziert er in seinem kleinen Rebberg im Priorat den aussergewöhnlichen Wein Sobre Todo und besitzt zusammen mit einem Geschäftspartner 50 Hektar Reben in Ribera del Duero. Privat sammelt Schwander leidenschaftlich hochwertige Druckgrafik aus dem 15. bis ins 20. Jahrhundert.
Mit über einer Million Flaschen sind Sie einer der grössten Weinimporteure der Schweiz. Seit einigen Jahren besitzen Sie zudem in Spanien ein eigenes Weingut – wie kam es dazu?
Das ist einem glücklichen Zufall zu verdanken. Als Raimon Castellví, ein hervorragender Winzer aus dem Priorat, dessen Weine ich schon lange importiere, vor ein paar Jahren bei mir zu Besuch war, wirkte er sehr deprimiert. Ich befürchtete schon, seine Frau habe ihn verlassen, aber wie sich herausstellte, ging es um einen 2 Hektar grossen Rebberg, den ein enger Freund aus gesundheitlichen Gründen verkaufen musste. Da es sich dabei um eine der besten Lagen des Priorat mit über hundert Jahre alten Rebstöcken handelte, hauptsächlich Grenache und Carignan, trieb es ihn um, dass er nicht imstande war, den Rebberg selber zu erwerben. Also sprang ich ein.
Beabsichtigen Sie, mit eigenen Weingütern ein zweites Standbein aufzubauen?
Nein, überhaupt nicht. Dieser Rebberg im Priorat ist wirklich nur ein Steckenpferd von mir. Beim Kauf stellte ich Castellví die Bedingung, dass wir gemeinsam den bestmöglichen Wein produzieren werden, und zwar ohne Rücksicht auf kommerzielle Überlegungen.
Das scheint zu funktionieren. Ihr Sobre Todogilt inzwischen als einer der besten Priorat-Weine. Wie haben Sie das geschafft?
Das ist vor allen Dingen die exzellente Lage und das Verdienst von Raimon Castellví. Er hat diesen Wein zusammen mit dem wohl erfahrensten Priorat-Önologen, Fernando Zamora, gekeltert. Mein Anteil besteht lediglich darin, sicherzustellen, dass wirklich nur die allerbesten Partien abgefüllt werden und dass der Stil des Weines stimmt. Dazu eine Zahl: Normalerweise könnten Sie aus 2 Hektaren Rebberg etwa 12 000 Flaschen Wein produzieren. Durch unsere kompromisslose Qualitätsfixierung und das Alter der Rebstöcke sind es nur gerade 1500 bis 2500 Flaschen.
Wie bestimmen Sie den Stil des Weins?
Ich gehe dabei genauso vor wie bei allen anderen Weinen, die Winzer für mich abfüllen. Um mir einen Überblick zu verschaffen, teste ich immer die besten Gewächse aus der Region. Habe ich Weine oder bestimmte Eigenschaften gefunden, die meinem Geschmack entsprechen, versuche ich, meine Wünsche auf Basis dieser Beispiele zu formulieren.
Das Resultat hat seinen Preis. Der Wein Ihres Priorat-Weinguts kostet immerhin rund 150 Franken.
Für Spitzenweine im Priorat bezahlt man in der Regel um die 300 Franken – da sind wir also noch einigermassen vernünftig unterwegs. Die besten Kunden der Selection Schwander erhalten jeweils ein Angebot, können aber maximal drei Flaschen beziehen. Und man muss sich schnell entscheiden; der letzte Jahrgang verkaufte sich innert zwei Tagen.
Welche Trends sehen Sie beim Champagner, abgesehen von dem Hype um Rosé-Champagner?
Rosé-Champagner ist in Mode, in der Tat. Daneben haben die Preise der Cuvées de prestige, wie zum Beispiel Roederer Cristal, deutlich angezogen. Ein anderer Trend, der seit längerem besteht, ist die Emanzipation der Winzer von den berühmten Champagnermarken. Viele liefern ihr Traubengut nicht mehr zur Gänze den Handelshäusern, sondern produzieren jetzt ihre eigenen Champagner, die teilweise von hervorragender Qualität sind. Diese Produkte sind denn auch sehr gefragt, da zahlreiche Weinfreunde darin eine willkommene Abwechslung zu den bekannten Brands sehen.
Naturweine sind aktuell sehr beliebt, im Angebot der Selection Schwander sind allerdings keine zu finden. Warum sperren Sie sich gegen diesen Trend?
Viele dieser Erzeugnisse sind schlicht fehlerhaft und riechen beispielsweise nach Sauerkraut. Häufig ist unter anderem ihr Histamingehalt aufgrund der tiefen Schwefelwerte zu hoch. Das führt dazu, dass die Weine schneller verderben und eher Kopfschmerzen verursachen – also genau das Gegenteil eines bekömmlichen Weins bewirken.
Es gibt keine guten Naturweine?
Selbstverständlich gibt es auch sehr gute Naturweine, aber die sind selten. Mittlerweile führen wir viele Bioweine im Programm. Allerdings nicht deshalb, weil sie aus biologischem Anbau stammen, sondern einfach, weil sie eine hohe Qualität haben. «Naturwein» hingegen ist ein nicht geschützter Begriff, mit dem leider viel Schindluder getrieben wird. Damit werden nicht selten ahnungslose Konsumentinnen und Konsumenten über den Tisch gezogen.
Sollte biologischer Anbau heute nicht Standard sein?
Die Idee des Bioanbaus ist hervorragend und hat wesentlich zu einer verantwortungsvollen Produktion beigetragen. Leider sind die Anforderungen vieler Biolabel sehr dogmatisch und lassen für schwierige Jahre zu wenig Freiraum. Auch stellt sich die Frage, wieso beispielsweise Kupfer biologisch ist und andere Stoffe nicht. Kupfer ist ein Schwermetall und belastet die Böden enorm. Vergessen wird auch, dass die Mengen an Pflanzenschutz, die heute ausgebracht werden, um ein Vielfaches tiefer liegen als noch vor wenigen Jahren. Man muss sich zudem vor Augen halten, dass kein Winzer daran interessiert ist, über Gebühr Pflanzenschutzmittel zu versprühen: Diese Produkte kosten viel Geld und die Ausbringung birgt immer ein gewisses Risiko. Entscheidend ist nicht zuletzt auch das Klima: Ist es sehr trocken, kann man ohne Anstrengung einen Biowein produzieren. Mein Priorat ist nicht biozertifiziert, aber aufgrund des niederschlagsarmen Klimas komplett rückstandsfrei; im Rebberg müssen wir in den meisten Jahren nicht einmal Kupfer spritzen.
Philipp Schwanders spontane, unvollständige Auswahl einiger Schweizer Topweingüter:
Drei-Seen-Region: Jacques Tatasciore; Domaine de Cressier, Grillette; Domaine de Chambleau; Domaine des Landions, Christian Vessaz.
Genf: Jean-Pierre Pellegrin.
Wallis: Marie-Thérèse Chappaz; Denis Mercier; Sarah und Gérald Besse; Jean-René Germanier (die Topweine); Clos de Tsampéhro; Philippe Darioli, Thierry Constantin, Sandrine Caloz; Valentina Andrei; Raphaël Maye (Simon Maye); Joseph Vocat.
Waadt: Louis-Philippe Bovard; Henri Cruchon; Raymond Paccot, Domaine Blaise Duboux; Pierre-Luc Leyvraz.
Tessin: Kopp von der Crone; Ivo Monti; Gialdi, Mike Rudolph; Giorgio Rossi.
Deutschschweiz: Georg Fromm; Gantenbein; Donatsch; Burkhart, Weinfelden; Studach; Weingut Schmidheiny und Höcklistein; Obrecht, Jenins; Pelizzatti; Manfred Meier, Zizers; Hansruedi Adank; Zahner, Truttikon, Erich Meier; Peter Wegelin.