Die SAI Platform steht für eine nachhaltige Landwirtschaft aus Sicht der Nahrungsmittelindustrie, welche sich «für eine bessere Welt» einsetzt. Das klingt verdächtig nach Greenwashing.
Ist es aber nicht. Die SAI Platform wurde vor über zwanzig Jahren mit dem Ziel gegründet, nachhaltigere Produktionssysteme und -techniken mit Bauern respektive Lieferanten gemeinsam zu entwickeln, weil schon damals klar war, dass unsere Rohstoffe grundsätzlich in einem «System mit Grenzen» produziert werden, und durch die Übernutzung natürlicher Ressourcen wie Wasserverbrauch, Bodenfertilität und -gesundheit, Biodiversität und so weiter war eine mittelfristige Bedrohung in vielen Regionen weltweit erkennbar. Schon damals waren Ziele wie Versorgungssicherheit für Verarbeitungsbetriebe, Qualitäts- und Lebensmittelsicherheit sowie Erhältlichkeit und Erschwinglichkeit für Konsumierende die Zielsetzung. Nie standen Marketinggedanken zur Diskussion.
Offenbar wurden die Ziele verfehlt. Fakt ist doch, dass das heutige Ernährungssystem – also die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln – erheblich zur Überschreitung der planetaren Belastbarkeitsgrenzen beiträgt.
Leider ist es so, dass die Belastungsgrenze vielerorts erreicht oder bereits überschritten ist. Nichtsdestotrotz arbeiten wir heute mit über 170 Mitgliedsfirmen weltweit weiter daran, die ursprünglichen Ziele flächen- und regionendeckend mit Hunderttausenden Bauern und Bäuerinnen mit Erfolg voranzutreiben.
«Wir sind bestrebt, alle Märkte zu bedienen.»
Die Interessen etwa einer biologischen Landwirtschaft mit lokaler Produktion und lokalem Konsum stehen doch im Widerspruch zu den Bedürfnissen einer international vernetzten Nahrungsmittelindustrie mit Fokus auf die Erzielung von Skaleneffekten.
Grundsätzlich haben wir nie Produktionsweisen gegeneinander ausgespielt. Die Konsumierenden entscheiden, was sie bevorzugen und kaufen. Auch die Bauern haben eine Wahl zu treffen und bauen entsprechend ihren natürlichen Bedingungen, dem «Ökosystem», das sie bewirtschaften, und den Absatzmöglichkeiten und den Preisbedingungen an.
Das klingt eher nach regionaler Tätigkeit. SAI-Platform-Mitglieder jedoch ...
... sind bestrebt, nicht nur Nischenmärkte, sondern alle Märkte zu bedienen. In diesem Zusammenhang – als Weiterentwicklung «nachhaltiger Landwirtschaft» – unterstützen wir nun mehr und mehr innovative regenerative Anbaumethoden, die ebenfalls rasch Skaleneffekte erzeugen. Ein wichtiges Ziel regenerativer Landwirtschaft ist, sicherzustellen, dass ausreichend nahrhafte Lebensmittel für alle produziert werden, und für eine verbesserte Gesundheit von Konsumenten und Konsumentinnen zu sorgen.
Der Agrar-Experte
Name: Hans Jöhr
Funktion: Mitbegründer und Ehrenpräsident der SAI Platform
Ausbildung: Studium der Agrarwissenschaften, Doktorat in Wirtschaftswissenschaften sowie diverse Nachdiplomstudien
Karriere: Bis vor zwei Jahren war Jöhr Corporate Head of Agriculture bei Nestlé, verantwortlich für die Leitung der weltweiten Lieferkette von landwirtschaftlichen Rohstoffen. Heute unterstützt er den VRP und CEO der Gruppe bei einzelnen Projekten. Zudem ist oder war Jöhr Mitglied verschiedener Organisationen, darunter der Policy Council on Agriculture Food and Trade (IPC).
Wie kommen wir aus dem Dilemma zwischen Preis, Gesundheit und Nachhaltigkeit heraus?
Die Ernährungssicherheit spielt nun wieder eine wichtigere Rolle. Deshalb muss regionaler Produktion und Verarbeitung wesentlich mehr Wichtigkeit zugemessen werden als in der Vergangenheit.
Das wird sich vermutlich negativ auf die Kosten auswirken.
Das ist so. Das wird unweigerlich auf die Produktionskosten und Verbraucherpreise einen Einfluss haben. Aber: Ein gesundes Ökosystem und gesunde Menschen sind wohl auch wertvoller. Der Abgleich mit den zukünftigen Erfordernissen und Notwendigkeiten der menschlichen Ernährung hat seinen Preis und muss beim Umbau – Stichwort «Transformation der Landwirtschaft» – primär dem Produzenten, den Bauern und Bäuerinnen, abgegolten werden. Sie sind diejenigen, die den sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen verantworten und umsetzen. Demzufolge müssen sie für diese wichtige Arbeit gerecht und ausreichend entschädigt werden.
«Am Anfang steht immer eine Landwirtin oder ein Landwirt.»
Wie kann das Ernährungssystem entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette von der Produktion über die Weiterverarbeitung bis zum Endkonsum überhaupt nachhaltig reformiert werden – und zugleich starke und sichere Lieferketten ermöglichen?
Ein wichtiger Schritt ist die teilweise «Ent-Commoditisierung». Neue IT-Werkzeuge helfen, die Rückverfolgbarkeit und Anbaumethoden wesentlich besser zu überwachen als bisher. Dadurch wird zusätzlich zu den Anstrengungen der Lebensmittelindustrie wie der Förderung regenerativer Landwirtschaft die «Transformation der Landwirtschaft» im Sinne kontinuierlicher Verbesserung mächtig unterstützt. Dieser Umbau geschieht nun und stärkt die Lieferketten und die Natur.
Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Herausforderungen für die Nahrungsmittelindustrien?
Sich zusammen mit dem Gross- und Detailhandel der Verantwortung zu stellen, gemeinsam den aufgezeigten Weg partnerschaftlich zu gehen und sich den Kosten- und Endkonsumentenpreisen bewusst zu werden. Dabei sollten sie nie vergessen, dass am Anfang ein Landwirt, eine Landwirtin steht. Einkäufer und Markenverantwortliche haben einen enormen Informations- und Lernbedarf und dürfen nicht nur mit Preismanagement unterwegs sein.
Wo und auf welche Themen sollte sich die SAI als Branchenorganisation konzentrieren, sagen wir mit Blick auf die kommenden zwanzig Jahre?
Schon bei der Gründung hätte ich mir nie ausmalen können, dass wir jemals eine so wichtige Organisation werden. Darum habe ich auch jetzt Mühe, in die Kristallkugel zu schauen.
Versuchen Sie es doch.
Na ja, Tatsache ist, dass der aktuelle Handlungsbedarf von immer mehr Lebensmittelindustrien und dem Handel klar erkannt ist und die nächste Generation in den Führungsetagen nicht mehr zwanzig Jahre zuwartet. Die SAI hat eine transparente Strategie, setzt sie um und lädt weiterhin neue Mitglieder ein, tatkräftig in ihren Lieferantenketten mitzuhelfen, das Lebensmittelsystem positiv umzubauen.
Globale Initiative für Nachhaltigkeit
Die SAI Platform ist eine der wichtigsten globalen Initiativen für eine nachhaltige Landwirtschaft und Wertschöpfungskette von Lebensmitteln und Getränken. Das gemeinnützige Netzwerk verfolgt ein langfristiges Engagement zur Schaffung pragmatischer Instrumente auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien und Praktiken. Die aktiven Mitglieder sind Unternehmen aus der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, darunter landwirtschaftliche Genossenschaften, Hersteller, Verarbeiter und der Handel. SAI steht für «Sustainable Agriculture Initiative of the Food Industry».