Die Studienergebnisse des im März veröffentlichten Unep Food Waste Index Report 2024 überraschten viele: Die Schweiz belegt mit 170 Kilogramm Foodwaste pro Kopf und Jahr europaweit einen Spitzenplatz. Wie ordnen Sie diese Ergebnisse ein?

Man muss diese Resultate in einem grösseren Kontext betrachten: Weltweit werden über 40 Prozent der Lebensmittel weggeworfen oder verschwendet. Die Schweiz ist dabei ein Land von vielen, das zu diesem Volumen beiträgt. Entsprechend war das Ergebnis zwar ernüchternd, jedoch keine grosse Überraschung für uns.

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Es sind also alle in der Pflicht, nicht nur die Schweiz.

Auf jeden Fall. Und genauso wie in der Schweiz ist es auch in anderen Ländern so, dass rund die Hälfte aller Lebensmittel in privaten Haushalten weggeschmissen werden. Und das ist etwas, das wir ändern müssen. 

Wie hat sich die Problematik der Lebensmittelverschwendung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Wie ein Vergleich diverser Studien zeigt, wird Foodwaste zu einem immer grösseren Problem. Früher wurde ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen, heute sind wir wie erwähnt bei mehr als 40 Prozent. Vor ein bis zwei Jahren gingen rund 8 Prozent der Treibhausgasemissionen auf Lebensmittelverschwendung zurück. Heute sind wir bei 10 Prozent. Es geht also leider in die falsche Richtung.

Stichwort Treibhausgase: Inwiefern ist Foodwaste ein Mitverursacher des Klimawandels?

Foodwaste ist ein Riesentreiber für die Klimakrise. Reduzieren wir diese Lebensmittelverschwendung, vermeiden wir gleichzeitig schädliche CO2e-Emissionen und den unnötigen Verbrauch wertvoller Energie und Ressourcen wie Wasser und Land. Zudem landen die Lebensmittel, die vor der Verschwendung bewahrt wurden, nicht mehr auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen, wodurch zusätzliche Emissionen vermieden werden.

Mit dem «Aktionsplan gegen die Lebensmittelverschwendung» will der Bund die Lebensmittelverschwendung bis 2030 gegenüber 2017 halbieren. Unternehmen wie Too Good To Go leisten hier einen wichtigen Beitrag.

Auf jeden Fall. Unsere App ist eine sehr gute Lösung für viele Partnerbetriebe. Wir arbeiten mit einer grossen Bandbreite an Betrieben zusammen, etwa mit Migros, Coop, Denner, aber auch mit kleinen Betrieben, mit Restaurantketten wie Tibits, mit einzelnen Kaufleuten und Bäckereien. Unsere Lösung funktioniert für Gross und Klein, für die Gastronomie, für den Detailhandel, für Hotels.

Lassen sich damit die Ziele des Bundes erreichen?

Mit unserer Lösung lassen sich grosse Ziele erreichen. Aber man muss auch realistisch sein: Es braucht noch viel mehr als Too Good To Go. Es braucht ein generelles Umdenken in der Gesellschaft, mehr Bewusstsein, um Lebensmittelverschwendung wirklich auf null zu bringen. Too Good To Go setzt mit der Marktplatz-Lösung – der Too-Good-To-Go-App – am Ende der Wertschöpfungskette an und hat sich auf Einzelportionen spezialisiert. Daneben gibt es viele weitere Unternehmen und Initiativen, die sich mit der Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Lieferkette beschäftigen.

Wie genau funktioniert die Too-Good-To-Go-App?

Nutzerinnen und Nutzer sehen in einem Radius von bis zu 30 Kilometer, welche Lebensmittelbetriebe Waren anbieten. Diese Lebensmittel können sie dann in unseren sogenannten Überraschungspäckli für einen Bruchteil des Originalpreises vor der Verschwendung retten. Das ist meistens kurz vor Ladenschluss, eine halbe Stunde bis eine Stunde davor – also dann, wenn die Lebensmittel übrig bleiben.

Können die User wählen, was sie erhalten?

Der Betrieb weiss nicht genau, was am Ende des Tages übrig bleibt. Doch die Angebote in der App können nach den eigenen Bedürfnissen gefiltert werden, etwa vegetarische oder vegane Päckli. Sobald es bereit ist, kann der Käufer oder die Käuferin das Päckli beim Betrieb direkt abholen.

Welche Vorteile haben teilnehmende Betriebe durch die Zusammenarbeit mit Too Good To Go?

Sie erzielen Umsatz, wenn sie etwas verkaufen können, statt es wegwerfen zu müssen. Too Good To Go verhilft ihnen zudem zu mehr Sichtbarkeit und bringt neue Kundschaft in die Filiale. Sie probiert neue Gerichte oder kauft zusätzliche Produkte. Aber das ist ein Nebeneffekt, unser primäres Ziel ist «Zero Food Waste».

Die Überraschungspäckli werden zu ungefähr einem Drittel des ursprünglichen Preises verkauft. Welche Überlegungen haben zu diesem Preis geführt?

Wir wollen nicht, dass Betriebe extra für Too Good To Go produzieren, weil es uns um Lebensmittelüberschüsse geht, die am Ende des Tages nicht verkauft werden können. Gleichzeitig sollen die Betriebe nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben müssen. 

Ist Too Good To Go auch in weiteren Bereichen aktiv?

Der Too-Good-To-Go-Marktplatz ist unser Kerngeschäft. Daneben haben wir vor ein paar Monaten eine Software für Detailhändler und Händler lanciert, um das Mindesthaltbarkeitsdatum von Lebensmitteln zu digitalisieren – die Too Good To Go Platform.

Wie funktioniert diese?

Bislang müssen Lebensmittel händisch in Filialen auf ihr Mindesthaltbarkeitsdatum geprüft werden, was dazu führt, dass viele Produkte aussortiert werden müssen. Das übernimmt nun unsere Software. Alle Artikel des Supermarkts werden in der Software erfasst, die daraufhin ankündigt, welche Produkte bald ablaufen werden. Sie informiert rechtzeitig, welche Artikel mit einem Rabatt versehen werden sollten oder beispielsweise für Too Good To Go aussortiert werden können. Durch die Digitalisierung des Mindesthaltbarkeitsdatums sparen Filialen viel Zeit ein und vermeiden zudem, Artikel wegwerfen zu müssen, die das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben. 

Apropos Mindesthaltbarkeitsdatum: Vielfach sind Waren wesentlich länger geniessbar, als es das aufgedruckte Datum vermuten lässt.

Ganz genau. Deshalb haben wir vor einigen Jahren unsere «Oft länger gut»-Kampagne ins Leben gerufen. Da geht es darum, durch zusätzliche Aufdrucke auf Produkten Konsumentinnen und Konsumenten zu sensibilisieren und sie dazu zu animieren, vor dem Wegwerfen von Lebensmitteln ihre Sinne einzuschalten. Schauen, riechen, schmecken – so lautet unser Appell an alle.

Wie erkennt man, ob ein rohes Ei noch geniessbar ist?

Indem Sie es in Wasser legen. Bleibt es unten, ist es okay, steigt es an die Oberfläche, sollten Sie es nicht mehr essen.

Zur Person

Name: Georg Strasser-Müller
Funktion: Country Director von Too Good to Go Schweiz und Österreich
Alter: 36
Ausbildung: Master of Science in Sustainable Development (MSc) an der Universität Uppsala

Das Unternehmen Too Good to Go ist ein zertifiziertes B-Corp-Social-Impact-Unternehmen, das Nutzer und Nutzerinnen mit Partnerbetrieben zusammenbringt, um unverkaufte Lebensmittel zu retten und zu verhindern, dass sie verschwendet werden. Mit 94 Millionen registrierten User und 160 000 aktiven Partnern in 18 Ländern in Europa und Nordamerika ist Too Good to Go der weltweit grösste Marktplatz für überschüssige Lebensmittel. Insgesamt wurden über 330 Millionen Mahlzeiten gerettet. In der Schweiz arbeitet Too Good to Go mit 7500 Partnern zusammen und verzeichnet 2,3 Millionen aktive Nutzer und Nutzerinnen.

Die App vernetzt die Betriebe direkt mit den Kunden. Wie überprüft ihr die Qualität der angebotenen Lebensmittel?

Die Händler sind selbst für die Qualität der Ware, die sie den Kunden und Kundinnen verkaufen, verantwortlich. Sie müssen gewährleisten, dass die Ware einwandfrei und geniessbar ist. Darüber hinaus können Nutzer und Nutzerinnen in der App die Qualität der Ware und den Service der Betriebe bewerten.

Die Too-Good-To-Go-Community betreibt also gewissermassen auch Qualitätsmanagement.

Genau. Über die Ratings können sie an das Verantwortungsbewusstsein des Händlers appellieren, eine gute Qualität zu gewährleisten.

Too Good To Go erhält 20 bis 40 Prozent des Umsatzes der Partner plus Jahresgebühr. Wohin fliesst der Gewinn?

Wir bezeichnen uns als Social Impact Company. Das heisst, uns geht es um unseren gesellschaftlichen Auftrag, unseren Umweltauftrag, unseren sozialen Auftrag. Alle Umsätze, die wir erwirtschaften, reinvestieren wir in unsere Firma, in App-Updates, in die Weiterentwicklung unserer Technologie, in Bewusstseinsbildungsmassnahmen, in unsere Kampagne und neue Lösungsansätze wie beispielsweise die Too Good To Go Platform. 

Too Good To Go wurde 2015 in Dänemark gegründet. Drei Jahre später kam der Schweizer Ableger. Was waren die wichtigsten Entwicklungsschritte? 

Ein grosses Ziel von uns war immer, mit den grossen Detailhändlern zusammenzuarbeiten, was uns mit Migros, Coop und Denner auch gelungen ist. Gestartet haben wir aber mit kleinen Bäckereien und Restaurants, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Danach haben wir unseren Marktplatz auf viele weitere und grössere Ketten ausgerollt. Mittlerweile haben wir bereits 11 Millionen Überraschungspäckli in der Schweiz gerettet.

Das ist beeindruckend.

Ist es – und ein Zeichen, wie wichtig den Schweizerinnen und Schweizern das Thema Lebensmittelrettung ist. Ich kann mit noch mehr Zahlen auftrumpfen: Weltweit rettet Too Good To Go rund vier Mahlzeiten pro Sekunde. Gleichzeitig werden aber leider nach wie vor über 80’000 jede Sekunde global verschwendet – unser Weg ist also noch lang.

Ihr rettet eine von 20’000 weggeworfenen Mahlzeiten. Klingt nach einem Kampf, den man nicht gewinnen kann.

Der Plafond ist definitiv noch nicht erreicht. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen. Und wir bleiben ambitioniert.

Welche Pläne hat Too Good To Go für die Zukunft?

Wir sind mittlerweile in 16 europäischen Ländern sowie in den USA und Kanada aktiv und expandieren dieses Jahr nach Australien. Haben wir in den grossen Wachstumsmärkten wie den USA und Kanada einmal Fuss gefasst, werden es vielleicht irgendwann nicht mehr 4, sondern 5, 6 oder auch viele Tausende Mahlzeiten sein, die wir pro Sekunde retten.