Nicht einmal sechs Monate sind vergangen seit dem grossen Durchbruch von Chat GPT, dem bekanntesten und erfolgreichsten Programm der künstlichen Intelligenz. Seine Erfolge sind so überragend, dass eine interessante Debatte um seine langfristigen Auswirkungen entbrannt ist: Macht Chat GPT uns alle zu Programmierern? Oder schafft die Maschine alle Programmierer ab?
Die Fakten zeugen von der überwältigenden Leistungskraft der neuen Technologie. Beispiel 1: Chat GPT besteht inzwischen selbstständig den Einstellungstest für hoch qualifizierte Softwareingenieure bei Google. Beispiel 2: Die Programmplattform Github, vor einiger Zeit von Microsoft gekauft, berichtet, dass jetzt schon 46 Prozent des Codes aller Programmiersprachen mit Copilot geschrieben werden, der Programmierhilfe von Open AI, also jener Firma, die Chat GPT herausbringt. Beispiel 3: Googles eigene Tochtergesellschaft Deepmind betreibt eine Programmierhilfe namens Alphacode. Sie trat kürzlich in einem Wettbewerb gegen 5000 menschliche Programmierer an und schlug 45 Prozent von ihnen nach Qualität und Geschwindigkeit.
Und all dies nach nur wenigen Monaten auf dem Markt. Vielleicht wird schon in einem Jahr fast gar kein Code mehr ohne die Unterstützung von künstlicher Intelligenz geschrieben werden und kein Mensch mehr in der Lage sein, der Maschine Paroli zu bieten. Bei Brettspielen wie Dame, Schach oder Go ist das schon seit Jahren der Fall. Programmieren könnte die nächste Disziplin sein, bei der Menschen aus Fleisch und Blut hoffnungslos in Rückstand geraten.
Eine winzige Elite wird entmachtet
Doch führt diese Entwicklung zwangsläufig dazu, dass menschliche Programmiererinnen aussterben? Oder bleibt der Berufsstand erhalten, ändert aber sein Erscheinungsbild? Peter Diamandis, der amerikanische Ingenieur, Technologe, Investor und Vordenker, gibt darauf eine klare Antwort: «Anstatt Programmierer abzuschaffen, wird künstliche Intelligenz wahrscheinlich alle und jeden von uns in Programmierer verwandeln. Künstliche Intelligenz demokratisiert das Programmieren.» Jensen Huang, Chef des Chip-Herstellers Nvidia, drückt diesen Gedanken so aus: «Wir demokratisieren gerade das Programmieren für jeden, der eine Maschine dazu bringen möchte, einen bestimmte Aufgabe auszuführen.»
Die Folgen dieser Entwicklung sind immens. Programmiersprachen waren schon immer Sprachen. Man konnte sie lernen und sprechen. Doch so abstrakt, wie diese Sprachen waren, blieb das Bedienen komplexer Maschinen einer winzigen Elite vorbehalten. Nur sie kam in den Genuss der höchsten Technologiedividende. Nun aber – mithilfe von künstlicher Intelligenz – nähert sich die Programmiersprache in atemberaubender Geschwindigkeit der natürlichen menschlichen Sprache an. Damit kann jeder und jede von uns direkt auf das mächtigste Werkzeug der Menschheitsgeschichte zugreifen. Es bedarf bald nicht mehr des Umwegs über die Kaste der Hohepriester. Mensch und Maschine verschmelzen über ihre gemeinsame Sprache. Science-Fiction noch vor wenigen Jahren, heute plötzlich greifbare Realität.
Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt regelmässig über Technologie und Innovation, neuerdings auch zweiwöchentlich in der «Handelszeitung».
1 Kommentar
Es ist schwer genug, mit richtigen Menschen Computerprogramme zu entwickeln, und das nicht, weil diese zu dumm wären. Eine der grössten Schwierigkeiten ist, herauszufinden, was ein Programm genau tun soll. Der Kunde kann das selten genau sagen. Und häufig ist das, was er will, nicht das, was er braucht. Widersprüche werden erst beim mühseligen Programmieren entdeckt, analysiert, diskutiert, fast immer mit Kompromissen gelöst. Weil die Welt kein mathematisches Umfeld ist. Seit jahrzehnten arbeitet man an höher entwickelten Programmiersprachen (z. B. die sog. 4. GL) oder grafischen Methoden, um das Programmieren einfacher und vor allem schneller zu machen. Mit Ausnahme von kleinen Nischen ist das alles wieder verschwunden. Programmieren hat sich im Grundsatz in den letzten 30 Jahren wenig verändert. Kann KI einen wesentlichen Beitrag leisten? Auf jeden Fall. Wird sie die Programmierer ersetzen? Nein, sondern wie in jedem Beruf gewisse Tätigkeiten übernehmen, während gleichzeitig der Bedarf an Software und die Qualitätsansprüche weiter steigen. Ist das neu? Auch nicht, nur ein weiterer Entwicklungsschritt zu den bis heute entstandenen Entwicklungsumgebungen, Compilern und Code-Generatoren. Wird jeder programmieren können? Wohl kaum, da nicht jeder im Stande ist, die Details eines Programms zu entwerfen, das es am Ende auch funktioniert. Nur weil jeder schreiben kann, ist noch lange nicht jeder ein Romanautor.