Auf der einen Seite pusht die Migros ihre Gesundheits-Initiative, auf der anderen Seite steht die Abstimmung zum Alkoholverkaufsverbot in den Supermärkten, M-Restaurants und Take-aways an. Wie passt das zusammen? Und: Wie sehr ist die selbst verfügte Alkoholabstinenz in der Firmen-DNS und damit im Migros-Markenkern und im Wertesystem des Unternehmens verankert?
Für die Migros ist die Markenreputation ein hoher Wert. In fast allen Studien und Befragungen erhält das Unternehmen hervorragende Noten. Im aktuellen «GfK Business Reflector» etwa erreicht die Firma aufgrund ihrer «sozialmoralischen Reputation» Bestwerte und liegt hinter Victorinox auf Rang zwei der meistgeschätzten Schweizer Unternehmen.
Pam Hügli* verfolgt die Abstimmung seit längerem mit grossem Interesse. Auch berufsbedingt. Die Werberin ist Co-Leiterin eines Branding-Lehrgangs und beleuchtet das Promille-Plebiszit vor allem unter dem Markenaspekt.
Ist das Alkoholverkaufsverbot der Migros-Supermärkte heute noch ein starker Markenwert?
Pam Hügli: Es ist ganz bestimmt immer noch ein Differenzierungsmerkmal. Kein Konkurrent macht, was die Migros-Supermärkte machen. Beziehungsweise eben nicht machen. Auffallend ist, wie wenig die Migros diesen freiwilligen Verzicht kommuniziert hat in den letzten Jahren. Das Alkoholverkaufsverbot ist heute ein schlafender Wert. Was ich hingegen mitbekomme, ist, dass sich das Unternehmen in Richtung Gesundheit und Wellbeing weiterentwickelt.
Wie würde die Abschaffung des Alkoholverkaufsverbots dazu passen?
Nicht besonders gut.
Alkohol ja oder Alkohol nein – welches Abstimmungsergebnis zahlt für die Migros mehr ein?
Kommt drauf an. Intern gibt es natürlich Überlegungen, dass man mit einem kompletten Angebot stärker zur One-Stop-Destination wird und durch ein Alkoholangebot zusätzlichen Umsatz erzielen kann.
Welches Ergebnis ist aus Markensicht optimaler?
Für die Marke Migros, vor allem unter der Prämisse Gesundheit betrachtet, wäre ein Nein am besten.
Heute schon ist Alkohol in einigen Verkaufsformaten der Migros-Gruppe erhältlich, bei Firmen wie Denner, Migrolino oder Migros Online. Eine Markenmogelpackung?
Unter dem Markenaspekt würde ich Denner als ein eigenständiges Unternehmen wahrnehmen. Migrolino und vor allem Migros Online sind da natürlich viel näher am orangen M. Dort müsste sich die Migros allenfalls überlegen, wie sehr das heutige Alkoholangebot zur Positionierung eines Unternehmens passt, welches für Gesundheit und Wohlbefinden stehen will.
Ex-Migros-Chef Herbert Bolliger, der die Vorlage bekämpft, sagt im Interview mit dem «Migros-Magazin», dass viele Kundinnen und Kunden gar nicht wüssten, was alles zur Migros-Gruppe gehöre.
Das bezweifle ich stark. Bei einem Unternehmen, das so stark verankert ist im Volk und diesem sogar gehört, sollte man nicht von unwissenden Konsumentinnen und Konsumenten ausgehen. Das Wissen darum, dass es heute schon Alkohol in Migros-Formaten wie Denner, Migrolino und – am offenkundigsten – Migros Online gibt, ist bestimmt vorhanden.
Verliert die Migros nach einer allfälligen Abschaffung des Alkoholverkaufsverbots ihr letztes Alleinstellungsmerkmal?
Nein. Mit Themen wie Kulturprozent und Klubschule ist sie immer noch einzigartig. Vielleicht kommt ja auch mal ein neues Differenzierungsmerkmal, ein zeitgemässer Wert, hinzu. Sollte es der Migros beispielsweise einfallen, eine Kita-Kette aufzuziehen, würde sie eine wichtige gesellschaftliche Rolle übernehmen.
Beschädigt es die Marke Migros, wenn plötzlich das jahrzehntelang verpönte Feuerwasser ins Regal kommt?
Kurzfristig wird dies die Markenwahrnehmung eventuell beeinflussen, langfristig sehe ich darin aber kein Problem. Die Migros steht für so viel mehr als nur für ein Alkoholverbot.
Nützt die Abstimmung dem Markenkern der Migros – oder schadet das eher?
Eine gute Diskussion hilft immer. Und das Abstimmungsergebnis kann dazu geeignet sein, die künftige Richtung und den Markenkern zu definieren. Wenn es klar ausfällt, ist es für die nächsten zehn Jahre in Stein gemeisselt. Mindestens.
Wie sehen Sie die Stimmungslage im Volk?
Das Land teilt sich in dieser Frage wohl in Bewahrerinnen und in Aufgeschlossene auf.
Ältere Menschen als Dutti-Fans und Bewahrer, jüngere als rein bequemlichkeitsorientierte Shopperinnen und Aufgeschlossene?
Nicht unbedingt. Aus ersten Befragungen ist bekannt, dass auch jüngere Menschen durchaus am Alkoholverkaufsverbot festhalten möchten. Möglicherweise gibt es einen Graben, der dort verläuft, wo die Konsumsituationen unterschiedlich sind. Dort, wo Konsumenten und Konsumentinnen verlässlich die Migros-Denner-Konstellation finden, braucht man den Alkohol im Migros-Supermarkt wohl weniger als in Lagen, wo der Migros-Laden alleine steht.
Was halten Sie von der Art, wie die Migros die Abstimmung selber zum Happening macht, mit einer Kampagne, die mit alkoholfreiem und alkoholhaltigem Bier arbeitet?
Ein humorvoller Umgang, wie es die Migros mit diesem Thema pflegt, ist sicher nicht falsch und passt zum Markenkern des Unternehmens.
Je nach Abstimmungsergebnis könnte es künftig in einigen Migros-Genossenschaften Alkohol geben in den Supermärkten – und in anderen nicht. Würde ein solcher «Flickenteppich» die Marke Migros beschädigen?
Die Genossenenschaften haben schon immer eine hohe Autonomie genossen. Die Sortimente sind regional unterschiedlich – das ist auch die Stärke der Migros, welche der Marke den Wert «Nähe» verleiht. Für eine konsequente und glaubwürdige Markenführung wäre es aber sicher besser, wenn das Nein flächendeckend ausfallen würde.
Ihre Prognose: Wie wird die Abstimmung ausgehen?
Wenn es um die Mobilisierung geht, dürften die Bewahrer in der Überzahl sein. Deshalb, und auch verbunden mit dem gelernten Einkaufsmuster, als Migros-Kundin den Alkohol bei Denner zu besorgen, gehe ich eher von einem Nein aus.
*Pam Hügli, ist Co-Leiterin des CAS Brand Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) und CEO/Partnerin der Kommunikationsagentur Serviceplan Suisse. Das Unternehmen ist weder für die Migros noch für Coop tätig, ebenso wenig für Aldi Suisse, Denner oder Lidl Schweiz.
1 Kommentar
Ich hoffe sehr, dass diese nicht mehr zeitgemässe (Frage. War die Beschränkung je zeitgemäss, wenn man den historischen Hintergrund kennt?) Beschränkung aufgehoben wird. Es macht schlicht keinen Sinn, dass einer der grössten Detailhändler kein Vollsortiment anbietet kann/will, weil die Migros kein Alkohol verkaufen darf. One-Stop-Shopping ist hier das Zauberwort. Einerseits ist es ein Irrglaube, dass der Konsument der Alkohol konsumieren möchte, auf diesen verzichtet nur, weil die Migros diesen nicht im Regal führt. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Kunde direkt zum Detailhändler mit Alkohol im Sortiment ausweicht, oder er eben zusätzlich einen Detailhändler aufsucht der Alkohol im Sortiment führt. Wenn ich das ganze noch unter dem Aspekt der Umwelt betrachte, wird die Umwelt zusätzlich unnötig belastet, weil zusätzliche Kilometer gefahren werden. In der Stadt oder in grossen Einkaufszentren ist dies wohl kein grosses Problem, da vielerorts die Detailhändler nah zueinander operieren. Auf dem Lande hingegen kann es eben schon vorkommen, dass der eine Detailhändler wesentlich weiter weg zu erreichen ist als die Migros, auch muss nicht sein das der nächste Denner gleich um die Ecke zu finden ist. Ich hoffe das wir Genossenschafter im 2022 in der Realität angekommen sind und wir uns von alten Zöpfen trennen können. Nostalgie ist etwas Schönes, hier aber nicht angebracht.