Sie sind Mitbesitzer des Gourmetrestaurants «Talvo by Dalsass» in St. Moritz. Wie kam es dazu?
Peter Spuhler*: Mein Vater war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1988 Küchenchef im «Dolder Grand». Er hat eine ganze Generation von Spitzenköchen ausgebildet. Dazu gehörte auch der spätere «Talvo»-Koch und Besitzer Roland Jöhri, einer der Lieblingsköche meines Vaters. Doch Jöhri hatte keinen Nachfolger und klagte immer, dass er nicht wisse, wie es nach seiner Pensionierung weitergehen werde.

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Und da sind Sie eingesprungen.
Irgendwann habe ich gesagt, dass ich es mir überlege. Es wäre sehr schade ums «Talvo» gewesen, denn russische Investoren wollten das Haus übernehmen und Eigentumswohnungen einbauen. Das Gebäude aus dem Jahr 1658 ist eines der ältesten im Oberengadin. Deshalb habe ich Michael Pieper, der ebenfalls eine enge Bindung zum Engadin hat, am Rande einer Verwaltungsratssitzung bei Rieter vorgeschlagen, das Restaurant zusammen zu kaufen. Pieper überlegte nicht lange und wir haben den Plan per Handschlag besiegelt.

Das klingt mehr nach einem Hobby als nach einem Investment.
Es geht uns nicht um die Rendite. Pieper und ich wollten, dass unser Lieblingshaus in St. Moritz weiterlebt. Das Restaurant muss Spass machen und der Pächter Martin Dalsass braucht genügend Luft, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen.

Welche Restaurants in der Schweiz können Sie als Liebhaber der guten Küche noch empfehlen?
Im Thurgau und auch in Zürich gibt es einige sehr gute Restaurants. Empfehlenswert sind das «Gambrinus» in Weinfelden und der «Landgasthof Wartegg» in Wigoltingen. Auch Christian Kuchlers «Taverne zum Schäfli», ebenfalls in Wigoltingen, ist sehr gut. Und in Zürich gehe ich gerne ins «Casa Aurelio» an der Langstrasse.

Was verbindet Sie mit St. Moritz als Wintersportort? Fahren Sie Ski?
Ich bin ein absoluter Ski-Freak.

Ach ja?
Ja! Hartly Mathis, der Gründer des «La Marmite» auf der Corviglia, war einer der besten Freunde meines Vaters und so kam ich von klein auf jeden Winter und Sommer nach St. Moritz. Im Militär führte ich dann als Gebirgsgrenadier-Kommandant eine Bündner Kompanie und habe jeden Gipfel in der Region bestiegen.

Fahren Sie gut Ski?
Ich denke, dass ich ziemlich gut Ski fahre. Zweimal bin ich sogar die gesamte Strecke der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel hinuntergefahren.

Kommen wir von Ihren Hobbys zum Geschäftlichen. Wie haben Sie als Patron von Stadler Rail das Jahr 2016 erlebt? Es war ja ein schwieriges Jahr für die Schweizer Industrie.
Die Probleme begannen schon viel früher, mit den ersten Währungsverwerfungen im November 2011. Richtig geknallt hat es dann mit der Aufhebung des Mindestkurses am 15. Januar 2015. Das hat uns hart getroffen, weil die Produkte aus unserem Hochlohnland über Nacht nochmals 20 bis 30 Prozent teurer wurden. Nur weil die Mitarbeiter bereit waren, für den gleichen Lohn mehr zu arbeiten, gelang es uns, da durchzukommen. Und dies ohne Entlassungen oder Kurzarbeit.

Das war 2015. Wie lief es 2016?
Bezüglich Auftragseingang war das Jahr ein Rekordjahr. Jedoch sind uns die Margen weggebrochen. Solange die Kaufkraftparität nicht den Wechselkursen entspricht, müssen wir Preisreduktionen vornehmen, was zulasten der Marge geht. Auf der Kostenseite könnten wir höchstens die Löhne senken, was wir aber nicht wollen. Unter dem Strich kosteten uns die Währungsverwerfungen im vergangenen Jahr deshalb 2 bis 3 Prozent der operativen Gewinnmarge.

Was waren die grössten Erfolge 2016?
Der Doppelstöcker-Auftrag von Caltrain für die Strecke von San Francisco durchs Silicon Valley nach San José war ein Meilenstein. Mit den Trams für St. Petersburg in Russland und den Zügen für die U-Bahn in Minsk in Weissrussland können wir unsere Position in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stärken. Dazu kommen mehrere Aufträge aus dem Vereinigten Königreich.

Die grössten Misserfolge?
Wir haben in Europa mehrere grosse Ausschreibungen verloren. 300 Züge in den Niederlanden, 300 Züge in Österreich und 150 Züge in Italien sind uns entgangen.

In Österreich haben Sie gegen die Vergabe an Bombardier geklagt. Werden Sie nochmal in Rekurs gehen?
Nein, die Angelegenheit ist für uns mit dem Richterspruch abgeschlossen. Die Teilnahme an einer solchen Ausschreibung kostet mehrere Millionen Franken. Am Ende haben wir aber nur einen knappen Bescheid über die Zweitplatzierung erhalten, jedoch ohne Begründung. Mit einem Nachprüfungsverfahren konnten wir mehr Klarheit erlangen.

Stand die Verpflichtung von Exkanzler Alfred Gusenbauer als Berater im Zusammenhang mit dieser Vergabe?
Das hat nichts damit zu tun. Gusenbauer ist ein guter Freund von Hans Peter Haselsteiner von der Strabag und Mehrheitsaktionär der Westbahn, die bei uns Doppelstockzüge gekauft hat. Gusenbauer hat uns in diesem Zusammenhang beraten. Doch er steht nicht auf der Lohnliste von Stadler.

Haben Sie ihre Aspirationen in Österreich aufgegeben?
Das können wir noch nicht sagen. Aber nach dem Misserfolg in Wien weiss ich nicht, ob wir jemals wieder in Österreich mitbieten wollen.

Ein weiteres Sorgenkind ist die Fabrik in Weissrussland. Wie sieht es mit der Auslastung dort aus?
Die Fabrik ist sehr modern und steht unseren Standorten in Westeuropa qualitativ in nichts nach. Wir haben dort in Rekordzeit die Doppelstöcker für den Aeroexpress in Moskau gebaut. Wegen des Preiszerfalls des Erdöls und des Absturzes des Rubels sowie der westlichen Sanktionen standen die Märkte der ehemaligen Sowjetunion aber zwischenzeitlich quasi still. So mussten wir die Zahl der Mitarbeiter um mehr als einen Drittel reduzieren. Dank den neuen Aufträgen aus St. Petersburg und Minsk geht es nun aber wieder aufwärts. Das Tal der Tränen ist durchschritten.

Sind Krisen wie der Krieg in der Ostukraine ein existenzielles Problem für Stadler?
In der Industrie ist es wie bei einer Bank, die Hypothekarkredite vergibt. Sie weiss schon zu Beginn, dass nicht alles zurückbezahlt werden kann. Wenn man international aufgestellt ist, knallt es immer irgendwo.

Dafür läuft es andernorts umso besser. Haben bei Ihnen die Korken geknallt, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde?
Als Vertreter der Wirtschaft und als Rechter mit neoliberalen Ansichten steht mir das Gedankengut der Republikaner näher als das der Demokraten. Doch das Auftreten von Trump im Wahlkampf war degoutant. Das geht gar nicht. Als Amerikaner hätte ich nicht gewusst, wen ich wählen sollte. Trumps Ankündigung, 550 Milliarden in die Infrastruktur zu investieren, habe ich gerne zur Kenntnis genommen. Doch wir müssen abwarten, was für eine Politik Trump tatsächlich machen wird. Ich lasse mich gerne positiv überraschen.

Wie läuft es denn zurzeit in den USA?
Wir arbeiten im Moment am Auftrag für TEX Rail, die Verbindung von Fort Worth zum Flughafen. Weil bei dem Auftrag Bundesgelder fliessen, müssen wir zum ersten Mal den sogenannten Buy American Act erfüllen und 60 Prozent lokale Wertschöpfung erbringen. Wir konnten uns glücklicherweise in eine bestehende Halle der Transport Authority von Utah einmieten. Dort nehmen wir die Endmontage der in Europa hergestellten Wagenkästen vor und erfüllen so die Vorgaben des Buy American Act.

Werden die Züge für Caltrain auch in Utah zusammengebaut?
Die bestehenden Hallen sind zu klein für die Doppelstockwagen für Caltrain. Wir eruieren deshalb zurzeit einen alternativen Standort. Wir wollen aber in Utah bleiben, da wir dort bereits Mitarbeiter ausgebildet haben.

Trump will bekanntlich die Wertschöpfung in die USA zurückholen. Würde das nicht dafür sprechen, ein eigenes grosses Werk in den USA zu eröffnen?
Es ist erstaunlich, dass ein angeblich liberales Land und WTO-Mitglied Regeln wie den Buy American Act durchsetzen kann. Wenn die Schweiz oder Deutschland dies in eine öffentliche Ausschreibung schreiben würden, hätten sie sofort eine Klage bei der WTO am Hals. Vieles, was Trump fordert, ist bereits umgesetzt. Wenn wir aber ein Werk in den USA haben, kann es uns egal sein, wenn Trump plötzlich sagt, 100 Prozent müssen in den USA gefertigt werden.

Warum kaufen Sie nicht einfach einen US-Konkurrenten?
Es gibt keinen Kandidaten. Chinesische Firmen haben drei Aufträge in den USA erhalten und müssen ebenfalls neue Werke bauen. Hallen gibt es viele zu kaufen, dafür bestehen aufgrund des fehlenden dualen Ausbildungssystems zum Teil Lücken in der Berufsbildung.

Grosses Potenzial für Stadler gäbe es auch in Iran. Wie präsentiert sich für Sie die Situation nach dem Ende der internationalen Sanktionen?
Vor der Wahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005 standen wir bereits kurz davor, einen Auftrag in Iran zu erhalten. Nach seiner Wahl wurden die Sanktionen eingeführt und wir mussten unsere Aktivitäten einstellen. Jetzt stehen die Chancen wieder gut, dass westliche Firmen nach Iran liefern können.

Auch Stadler?
Ja, auch Stadler.

Welche Projekte haben Sie konkret im Visier?
Es bestehen Projekte für Strassenbahnen in diversen iranischen Städten, für die Metro in Teheran und für die Lieferung von Schlafwagen. Aber es gibt noch viele Fragen zu klären. So sind etwa die iranischen Banken weiterhin vom globalen Finanzmarkt ausgeschlossen, was Geschäfte in Iran erschwert. Und selbstverständlich halten wir uns an alle Sanktionen.

Zuletzt haben Sie ja über einen Börsengang von Stadler nachgedacht. Was würde das bringen?
Das Wichtigste für Stadler ist, dass wir die Unabhängigkeit wahren. Ein IPO ist eine Möglichkeit.

Wann wäre der Börsengang frühestens möglich?
Wie bereits gesagt, ist ein Börsengang nur eine von mehreren Varianten.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Firma für die Zukunft konkurrenzfähig zu halten?
Das hat mit der Eigentümerstruktur nichts zu tun. Stadler ist absolut wettbewerbsfähig. Wir bringen die besten Produkte auf den Markt. Das hat auch der sehr gute Auftragseingang wieder gezeigt.

Was sind Ihre Schwerpunkte für 2017?
In Berlin stehen grosse Ausschreibungen für die U-Bahn und Strassenbahn an. In der Schweiz möchten wir die BLS-Ausschreibung gewinnen, aber da ist natürlich auch Bombardier interessiert. Zudem hoffen wir auf ein grosses Projekt in Indien.

Und die Schweiz bleibt Firmensitz und wichtigster Produktionsstandort?
Wir sind eine Schweizer Firma und setzen alles daran, dass wir am Werkplatz Schweiz festhalten können.

Das klingt jetzt nicht in Stein gemeisselt.
Es ist nicht gottgegeben. Wenn wir weitere negative Einflüsse auf die Kostenstruktur haben, können wir Verlagerungen nicht auf alle Zeit ausschliessen. Aber man muss schon sehen: Den hohen Lohnkosten und negativen Währungseffekten in der Schweiz stehen eine hohe Stabilität, gut ausgebildete Mitarbeiter und ein immer noch liberales Arbeitsgesetz gegenüber. Das spricht für den Werkplatz Schweiz.

Was wäre denn ein Grund, die Schweiz zu verlassen?
Wir halten nach Möglichkeit am Werkplatz Schweiz fest. Die Differenz des Wechselkurses zur Kaufkraftparität ist für uns aber sehr schmerzhaft. Die 300 Züge in Holland haben wir wegen des Preisunterschiedes von 7 oder 8 Prozent verloren.

Denken Sie, dass sich die Situation bald verbessert?
Schwierig zu sagen. Thomas Jordan tut, was er kann, und ich habe mit Genugtuung gesehen, dass die USA den Leitzins erhöht haben. Das bedeutet, dass institutionelle Gelder von Europa in den Dollar abfliessen werden, was auch den Schweizer Franken entlasten dürfte. Wie nachhaltig das sein wird, ist aber offen. Ausserdem weiss man nie, wann es in der Euro-Zone das nächste Mal knallt.

*Peter Spuhler ist Inhaber und Chef von Stadler Rail. 1989 hat Peter Spuhler der verwitweten Irma Stadler das Unternehmen mit 18 Angestellten abgekauft. Es machte damals 4,5 Millionen Franken Umsatz. Inzwischen gehört Stadler Rail zu den grössten Schienenfahrzeug-Herstellern der Welt. 2015 setzte das Unternehmen 2,2 Milliarden Franken um und verkaufte 373 Fahrzeuge. An zwanzig Standorten weltweit arbeiten rund 7000 Personen für Stadler Rail. 1999 bis 2012 sass Spuhler für die SVP im Nationalrat.