Lange galt es als selbstverständlich, dass Gleichstellung ein Frauenthema ist und deshalb Männer wenig interessiert oder kaum betrifft. Das Forschungsprojekt «Leaders for Equality» der Universität St. Gallen belegt in einer Umfrage, dass Männer sehr wohl motiviert sind, sich für Gleichstellung zu engagieren – aus zum Teil überraschenden Gründen.
Der sogenannte Business Case wird von den knapp 1200 Schweizer Führungskräften, die sich an der Umfrage im Rahmen des Projektes beteiligt haben, als Hauptmotivation für ein Gleichstellungsengagement angesehen.
Der Fachkräftemangel und der demografische Wandel spielten dabei eine treibende Rolle: Aufgrund eines hohen Durchschnittsalters der Führungskräfte in Schweizer Unternehmen stehen in den nächsten Jahren zahlreiche Pensionierungen an. Gleichzeitig fehlt es an Nachwuchskräften, weshalb es aus Sicht der interviewten Führungskräfte notwendig ist, vor allem vermehrt junge Frauen einzustellen und beruflich zu fördern. Ansonsten seien gewisse Positionen nur mehr schwierig zu besetzen.
Fairness als Hauptmotiv
Ein wichtiger und oft genannter Punkt für die Gleichstellungsförderung ist der Begriff Fairness. «Unsere Gesellschaft besteht aus 100 Prozent und nicht aus 50 Prozent. ‹Mensch› ist nicht Mann. Und Teil von Teilhabe ist, dass auf der Führungsebene in einem Unternehmen Frauen genauso dazugehören wie ich als Mann», sagt einer der Manager in der Umfrage.
► Projekt
Diskutieren Sie auch auf Social Media mit und folgen Sie unserem Projekt auf Linkedin und Twitter. Das Gesamtprojekt Leaders for Equality steht unter der Leitung von Julia Nentwich und Gabriele Schambach von der Uni St. Gallen. Unterstützt wird es vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann. In Partnerschaft mit der Schweizer Kader Organisation (SKO) und der «Handelszeitung» werden sie an dieser Stelle fortan regelmässig über die im Projekt gewonnenen neuen Erkenntnisse und Erfahrungen berichten.
► Engagement
Die «Handelszeitung» unterstützt Leaders for Equality im Rahmen ihres Engagements für das Equalvoice-Projekt des Medienkonzerns Ringier. Ziel ist, den Frauen in der Medienberichterstattung die gleiche Stimme zu geben wie Männern. Die Medientitel der Ringier-Gruppe und damit auch die «Handelszeitung» messen daher den Frauenanteil in ihren Artikeln seit einigen Monaten mittels einer KI. Gleichzeitig will die «Handelszeitung» ihren Leserinnen und Lesern praktische Tools für mehr Diversität liefern.
► Bisherige Berichte
Wie Chefs und Kollegen Frauen im Job stärken können
Bei den befragten Männern ist Fairness sogar einer der meistgenannten Gründe für das Gleichstellungsengagement. Eine andere befragte Führungskraft erklärt: «Ich möchte in meiner Person nicht beschränkt werden auf ein männliches Rollenbild. Es ist megaschwierig, wenn nur das von dir erwartet wird.»
Die Aussage verdeutlicht, dass ein Engagement für Gleichstellung durch das eigene Erleben von Nachteilen von Geschlechterungleichheiten durch die herrschenden Männlichkeitsnormen motiviert ist. Diese Nachteile betreffen vor allem die Reduktion auf eine Vollzeiterwerbstätigkeit, eine Führungskultur der Immer-Verfügbarkeit. Zum einen führt die damit zusammenhängende körperliche und mentale Belastung zu Gesundheitsproblemen. Zum anderen ist ein ausgewogenes Privat- und Familienleben mit einer aktiv gelebten Vaterschaft da oft schwierig bis unmöglich.
Viele Manager befürchten Nachteile für ihre Töchter und Enkelinnen.
Eine weitere Form von Betroffenheit wird ersichtlich, wenn männliche Führungskräfte befürchten oder erleben, dass ihre Töchter oder Enkelinnen aufgrund von gesellschaftlicher wie unternehmensinterner Benachteiligung Schwierigkeiten haben, Karriere zu machen. Einige äussern Besorgnis, dass diese mit den momentan geltenden Rahmenbedingungen Nachteile in ihrer Karriere haben werden.
Die Untersuchung zeigt auch, dass Männer von Gleichstellungsaktivitäten genauso profitieren wie Frauen, indem ihnen beispielsweise flexible Arbeitsformen und Karrieremodelle sowie die Akzeptanz von Teil-, Eltern- und Auszeiten neue Spielräume für eine offenere Unternehmenskultur eröffnen und eine nachhaltige Work-Life-Integration sowie aktive Vaterschaft ermöglichen – «denn einige Männer wollen auch nur noch 60 oder 80 Prozent arbeiten – man will mehr Family Time, Quality Time verbringen», wie eine männlichen Führungskraft bestätigt.
New Work als Chance
Und unter den Stichworten New Work oder Agilität verändert die Digitalisierung Arbeitsprozesse und -organisation, wodurch sich auch Führungs- und Kommunikationskulturen verändern. Die Erfahrungen mit Homeoffice – als ein Element von New Work – im Zusammenhang mit der Corona-Krise haben gezeigt, dass in einem höheren Mass als bislang Sozialkompetenzen von Führungskräften benötigt werden.
Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von männlich konnotierten Führungseigenschaften ab. Ein Engagement männlicher Führungskräfte für New Work kann zu grösseren Chancen von Frauen auf Führungspositionen führen, weil ihnen ein kollaborativer Führungsstil eher zugeschrieben wird.
Die Ergebnisse des Projekts der Universität St. Gallen zeigen deutlich: Der grösste Teil der befragten Männer will sich aktiv für Gleichstellung engagieren. Einige sehen sich in einer starken Verantwortung, den Weg dorthin mitzugestalten.