«Delicious», sagt Johann Schneider-Ammann und kaut auf einer gewürzten Grille. Der Bundesrat kam letzten Herbst in den Genuss eines neuen Food-Trends: Insekten. Gruseln sich viele vor den vielbeinigen Krabbeltieren, sehen andere in ihnen die Zukunft der Ernährung. Erste Sterne-Köche schwingen den Kochlöffel, um sich mit den neuen Ingredienzen auszutoben, etwa der mit 14 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Andreas Halter. Beim Testessen im Tropenhaus Wolhusen zauberte er knusprige Wanderheuschrecken auf Hokkaidokürbis-Sorbet, Curryblättern und geschäumtem Joghurt, gefolgt von balinesischen Mehlwurm-Krapfen.
Warum der plötzliche Hype um das Gekräuch? Seit dem 1. Mai erlaubt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in der Schweiz den Verzehr und Verkauf von Insekten – genauer: von Grillen, europäischen Wanderheuschrecken und Mehlwürmern. Reich an Proteinen, Mineralstoffen und Vitaminen haben Insekten einen geringeren ökologischen Fussabdruck als anderes Fleisch.
Weniger Wasser, weniger Futtermittel
Ihre Zucht verbraucht laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) deutlich weniger Wasser als Rindfleisch; Insekten benötigen weniger Futtermittel und stossen deutlich weniger Treibhausgase pro Kilogramm Körpermasse aus als etwa Schweine.
Als Partygag geeignet – Grillen schmecken ähnlich wie Popcorn –, sehen auch immer mehr Firmen in den Insekten Geschäftschancen. An vorderster Front ist Coop. Der Detailhändler wollte ab Mai erste Insektenprodukte anbieten, darunter einen Burger und Hackbällchen. Mittlerweile ist Ende Juli – und in den Regalen: keine Grillen, keine Maden. Dasselbe gilt bei Manor: Auch hier heisst es, man wolle das Sortiment im Bereich Apéro/Snacking mit Insekten – in getrockneter und würziger Form – erweitern. Auch hier ist noch kein Einführungsdatum bekannt. Es gäbe Verzögerungen beim Import, sagt eine Manor-Sprecherin.
Probleme beim Import
Auch Coop nennt als Grund Lieferverzögerungen: «Momentan steht noch nicht fest, ab wann Insekten, die als Lebensmittel zugelassen sind, in der Schweiz verfügbar sein werden – sei dies aus Zuchtbetrieben in der EU oder in der Schweiz», so Sprecherin Yvette Petillon. Der Verkaufsstart der Insektenprodukte bei Coop verzögere sich daher bis auf weiteres.
Das Problem liegt also bei den Produzenten. Ihnen fehlen die Krabbler. Im Falle von Coop ist davon Essento betroffen. Das Startup entwickelt Insekten-Spezialitäten für den Detailhändler, welcher sie dann als Fertigprodukt in ausgewählten Filialen anbieten will. Das Problem: «Derzeit sind in der Schweiz keine Insekten verfügbar, die als Lebensmittel zugelassen sind, weder aus der Schweiz noch aus der EU», erklärt Co-Founder Christian Bärtsch.
Qualitätskontrolle fehlt
Noch Ende April hatte Bärtsch gesagt, man wollte die Insekten aus Belgien und den Niederlanden beziehen. Genau hier liegt das Hindernis: Um Insekten in die Schweiz importieren zu können, müssen laut BLV zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Insekten müssen aus einem Betrieb stammen, der von der Lebensmittelbehörde im Exportland kontrolliert wurde. Und die importierten Insekten müssen die lebensmittelrechtlichen Anforderungen der Schweizer Gesetzgebung erfüllen.
Das Problem ist: In der EU sind Insekten nicht als Lebensmittel zugelassen, die entsprechende Behörde in einem EU-Land kann der Schweiz also nicht die benötigte Qualitätskontrolle liefern. «Ohne eine entsprechende Bestätigung der Kontrolle der Behörden im Exportland, sind die Importbedingungen nicht erfüllt», sagt Stefan Kunfermann, Mediensprecher vom BLV.
Belgien und die Niederlande stellen EU-weit allerdings eine Ausnahme dar: Sie haben die Produktion von Insekten zwar nicht gesetzlich geregelt - diese werden aber dennoch zu Lebensmittelzwecken angeboten. Eigentlich sollte die Einfuhr also kein Problem sein, wäre da nicht die ausstehende Bestätigung der Behörden in beiden Ländern. Eine entsprechende Bestätigung dürfte, je nach Exportland, jedoch nur eine Frage der Zeit sein, sagt Kunfermann.
Auslieferung ab September
Und wieso setzen Produzenten nicht auf Schweizer Insekten - «Swiss bugs first», so zusagen? Auch das ist nicht ganz einfach. Inländische Insekten-Produzenten und -verarbeiter brauchen für die Produktion eine kantonale Bewilligung - und eine solche halten laut BLV bislang nur zwei Betriebe: Essento und Entomos. Da Essento Insekten weiterverarbeitet und nicht züchtet, ist Entomos momentan der einzige bewilligte Zuchtbetrieb.
Bei Entomos ist man aber noch nicht bereit, Insekten für die Lebensmittelproduktion zu verkaufen. Bis Insekten für den Verzehr und Verkauf bereit sind, müssen sie mehrere Generationen durchlaufen. Erst die vierte Zucht-Generation wird als zur Produktion zu Lebensmittelzwecken geeignet angesehen, erklärt Kunfermann vom BLV. Entomos-Geschäftsführer Urs Fanger gibt an, seine Insekten hätten die dritte Generation erreicht - «jedoch muss noch zugewartet werden, bis die Tiere ihr ‹Erntegewicht› erreicht haben», so Fanger. Die ersten Eigenprodukte von Entomos würden deshalb ab dem 4. September verfügbar sein. Das hat zur Folge, dass Verarbeiter von Insekten-Produkten auch hierzulande auf dem Trockenen sitzen.
Mehlwurm-Falafel und -Chips
In-Snekt etwa, ein Betrieb aus Hergiswil am Napf, der Snacks aus Insekten herstellen will, wartet nach eigener Aussage noch auf die erste Lieferung von Entomos. Die Firma will daraus Falafel oder Chips aus herstellen - beides soll an die Gastronomie und im Einzelhandel verkauft werden. Auch das Problem mit der kantonalen Bewilligung ist noch nicht endgültig geklärt: Zwar sei man kein Züchter, sagt Geschäftsführer Daniel Bisten.
Luzerner Lebensmittelinspektoren wollten aber die Umstände ihrer Produktion untersuchen. Ohne die gelieferten Insekten dürfte das schwierig sein - und ohne Tiere findet auch keine Produktion statt. Bis die Krabbler ausgewachsen sind, gilt also: Steak auf den Grill und auf die Grillen warten.
Auch das finnische Startup Entocube züchtet Grillen: