Die Diskussion um die Leistungen des Kundenservices haben endlich das Management erreicht. Gerade Banken realisieren, dass sie bei der Verbesserung Ihrer Customer Experience (CX) nicht weiterkommen, solange sich die Kundschaft über lange Wartezeiten, ungelöste Anliegen und kurz angebundene Mitarbeitende am Telefon beschweren. Gleichzeitig nehmen sie wahr, dass die andauernde Effizienzorientierung alsund damit auch das Einsparungspotenzial im Kundenservice an seine Grenzen gelangt ist.

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Hoher Krankenstand

Der Krankenstand ist mit im Durchschnitt 10,2 Tagen pro Jahr auf dem Level von Mitarbeitenden doppelt so hoch wie der von Teamleitenden oder Stabsstellen. Die produktive Kundenzeit liegt mittlerweile nur noch bei 68 Prozent. Das zeigt das Service-Excellence-Cockpit. 

Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für die Etablierung profitabler Kundenbeziehungen, Professor an der Hochschule Luzern und Herausgeber des «CEX Trendradar». Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Auswirkungen von Kundenkontaktmanagement auf die Customer Experience. Das Service Excellence Cockpit findet man unter www.service-excellence-cockpit.ch.

Digitale Tools werden (abseits des E-Banking) wenig genutzt

Diese Zahlen belegen, dass bei der Steuerung von Kundenserviceeinheiten dringend umgesteuert werden sollte. Viele Unternehmen versuchen daher, Kundenfragen via digitale Self-Service-Tools oder Bots zu beantworten. Auch sind Bots heute schon sehr erfolgreich. Chatbots beantworten mehr als zwei Drittel der an sie gerichteten Fragen, wie eine Studie von Forward Benchmark und der HSLU zeigt. Nur: Wenn in Deutschland, der Schweiz und Österreich lediglich 2 bis 4 Prozent aller Anfragen an Banken per Chat gerichtet werden, helfen solche Tools nur marginal. Es fehlt offensichtlich weithin an Verständnis dafür, wie Technologie eingesetzt werden sollte, um wirklich kundenorientiert agieren zu können.

Der Schlüssel zur Entwicklung einer solchen Strategie liegt in einem vertieften Verständnis der Kundenkontaktgründe und des damit verbundenen Kontaktvolumens über das gesamte Unternehmen. Wir haben in den letzten vier Jahren in über fünfzig Organisationen immer wieder Listen von Kundenkontaktgründen gesehen, die aus verschiedenen Gründen ungeeignet waren, um die Automatisierungsentscheidung fundiert zu treffen. Dabei sind uns vor allem Kontaktgrundlisten aufgefallen, die

  • über hundert Einträge umfassten, wobei in der Auswertung mehr als 50 Prozent der Kontakte als «Sonstiges» oder «Allgemein» klassifiziert wurden;
  • produktorientiert und nicht kundenorientiert zu Statistikzwecken geführt wurden und damit wenig aussagekräftig sind;
  • vor mehr als zehn Jahren erstellt wurden und auf der beispielsweise alle Kontaktgründe fehlen, die sich auf digitale Touchpoints des Unternehmens beziehen. Gartner hat jedoch schon 2019 darauf hingewiesen, dass schlechte Umsetzung von digitalen Kundenkontaktpunkten zu einem erheblichen Mehraufwand am Telefon führen. Wir führen das auf die Entwicklung digitaler Tools in Silos der Banken zurück.

Spezialistinnen sind zu häufig im Call

Zusätzlich stellen wir im Austausch mit Banken fest, dass zurzeit vermehrt auch beispielsweise Produkt- oder Portfoliospezialisten wieder einen Grossteil ihrer Zeit mit Kundenkontakten verbringen. Gesamthaft sind dies Indikatoren dafür, dass der Scope und die Inhalte des Kundenservices lange nicht überarbeitet worden sind. 

Weiterhin ist festzustellen, dass Contact Centers sich nicht integriert, also etwa mit den Marketingabteilungen oder der Unternehmenskommunikation gerade grosser Banken austauschen. Wie viele Anrufe oder Mails könnten beispielsweise vermieden werden, wenn Kunden und Kundinnen ihre Anfragen schon auf der Website beantwortet bekommen? Der deutsche Versicherungsvorstand der HUK24, Uwe Stuhldreier, bringt es auf den Punkt: «Jedes Mail ist ein Versagen der Website.» Recht hat er. Nur muss dafür produktübergreifend klar sein, wie viele Kunden und Kundinnen anrufen, weil sie etwas nicht gefunden oder falsch verstanden haben. Und diese Untersuchung sollte man regelmässig machen. Gleiches gilt für den Massenversand von Kampagnen aus dem Marketing oder für Abrechnungen oder Auszüge aus dem Vertragswesen oder Operations. Eine staatliche Informationsstelle stellte jüngst fest, dass sie zwei Drittel der Mitarbeitenden ihres Kundendienstes damit beschäftigt, Nachfragen der Kundschaft zu Kampagnen oder Abrechnungen zu beantworten. Im Kundenkontakttool wurde dieser Sachverhalt als «Allgemein» erfasst.

AI-gestützte Tools helfen bei Personalisierung

Sind Kundenkontaktgründe und die dazugehörigen Volumina Touchpoint-spezifisch erstmal akkurat erfasst, existieren heute jedoch fantastische technische Möglichkeiten, Kundenkontakte zu automatisieren, zu vereinfachen oder sogar komplett zu vermeiden. Hat man beispielsweise verstanden, welche Zielgruppen Verständnisprobleme mit Abrechnungen haben, können generative AI-Tools wie Chat GPT dabei unterstützen, in Kürze passende Texte für eine bestimmte Zielgruppe (zum Beispiel Best Ager oder Generation Z) zu verfassen, um diese im Erstkontakt ideal «abzuholen». Service und Marketingautomation wächst anhand dieses Beispiels ideal zusammen. 

Auch kann AI im telefonischen Kundenkontakt das persönliche Gespräch besser und schneller gestalten. Fast alle Hersteller grosser Kontaktmanagementsysteme fokussieren heute darauf, die Kundenhistorie eines Anrufers bei Rufnummernerkennung zu scannen und daraus Rückschlüsse auf mögliche Anrufgründe zu ziehen. So sind die Systeme in der Lage, zunächst aufgrund der hinterlegten Skills der Mitarbeitenden den passenden Agenten zu wählen und diesen im Anschluss mit den wichtigsten Informationen (Rechnungen oder einer Anleitung zur Nutzung beispielsweise des Mobile-Bankings oder Informationen zu einem passenden Anlageprodukt) zu versorgen.

Textanalyse wird unterschätzt

Die aus unserer Sicht wichtigste Anwendung von AI ist jedoch die Sprach- oder Textanalyse. Gerade um die vernachlässigte Liste der Anrufgründe neu zu verfassen, kann ein systematischer Scan der Kundenkontakte einer bestimmten Periode sehr hilfreich sein. Doch vorher und anschliessend geht es knallhart um Führung. Vorher, weil Managerinnen und Manager den Nutzen eines Reviews der Kundenkontakte beschliessen müssen. Indikatoren dafür können ein hoher Arbeitsrückstand, Krankenstand oder Mitarbeitenden-Churn im Contact Center sein. Nachher, weil die Kundenkontaktgründe auch weiter erfasst werden müssen, um so strategisch und langfristig daran arbeiten zu können, Kontakte systematisch entweder zu reduzieren oder ein fantastisches Kundenerlebnis zwischen Mitarbeiter und Kundin möglich zu machen. Gute Beispiele dafür gibt es zuhauf.

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
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