Als meine Generation den Arbeitsmarkt betrat, musste sie sich um eine Stelle bemühen. Bei einem Vorstellungsgespräch bereitete man sich akribisch auf eine Firma vor. Man kannte deren Zahlen, hatte die Stelle und die Website bis ins letzte Detail studiert und versuchte, mit Extrawissen aus Artikeln und Berichten über die Firma aufzutrumpfen. Denn man wusste: Neben der eigenen Bewerbung lagen weitere CVs spannender Kandidatinnen und Kandidaten auf dem Tisch der möglichen Vorgesetzten.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Das änderte sich in den letzten Jahren komplett. Der Fachkräftemangel war das Schlagwort der Stunde, Firmen suchten händeringend nach Leuten und machten alles, um Talente anzuziehen. Sie verfielen in eine Torschlusspanik, stellten ohne Wenn und Aber ein, denn der Pool an qualifizierten Mitarbeitenden schrumpfte stetig. Die Arbeitnehmenden sassen am längeren Hebel.

Nun wendet sich das Blatt langsam. Zwar im Schneckentempo, aber eine Normalisierung zeichnet sich ab. Da und dort ist zu hören, dass die Stellensuche länger dauert oder dass es nur für Platz zwei gereicht hat. Das ist zum Nachteil der Arbeitnehmerseite und zum Vorteil der Unternehmen. Vor allem aber hilft die Entwicklung dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsmotivation.

Ein gesunder Arbeitsmarkt funktioniert dank Fluktuation. Dazu gehören einerseits Stellenabbau und Entlassungen, anderseits aber auch freiwillige Stellenwechsel. Bisher stand die Freiwilligkeit im Fokus. Noch immer sollen 50 Prozent der Belegschaft mit einem Wechsel liebäugeln. Das kommt nicht von ungefähr, denn rund um die Diskussion von Benefits und das Feilschen um immer höhere Löhne ging vor allem eines vergessen: Eine Stelle zu haben, ist keine Selbstverständlichkeit.

Nun kommunizieren immer mehr Firmen Entlassungen, was dazu führt, dass Leute ihre Stelle wieder schätzen. Laut Prioritätenumfragen hieven Mitarbeitende gar die Arbeitsplatzsicherheit an erste Stelle – noch vor dem Lohn oder der Work-Life-Balance. Das Wissen um die Unsicherheit der eigenen Stelle spornt die Leute an, sich im Job zu bemühen und ihr Bestes zu geben. Das war zuvor nicht immer der Fall gewesen: Es hatte sich eine Trägheit eingestellt, da Mitarbeitende wussten, dass ihre Arbeitgeberin auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt sowieso keinen Ersatz finden würde. Jetzt aber besteht das Risiko, keine Stelle mehr zu finden – also will man unbedingt bleiben und setzt folglich alles daran.

Freilich: Das ist kein Freipass für Firmen, um ihren Mitarbeitenden endlose To-do-Listen aufzutragen, den Druck zu erhöhen oder mit der Kündigung zu drohen. Es ist aber eine kleine Entspannung in ihrem Sinne auf dem Arbeitsmarkt, der endlich in Richtung Normalität zurückfindet.