Wer bei Biodiversität nur an Umweltschutz denkt, liegt falsch. Das Artensterben wird ebenso wie der Klimawandel zu einem wachsenden wirtschaftlichen Risiko. Trotzdem sind bei Unternehmen effektive Massnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt bislang selten, wie eine Befragung von 56 Konzernen durch Union Investment zeigt. Schon deshalb wird das Thema bei Investoren in Zukunft häufiger auf der Agenda stehen: Biodiversität wird aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung auch im Risikomanagement relevant.

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Bei Unternehmen und Investoren ist das Thema Dekarbonisierung zurzeit noch deutlich präsenter als die wirtschaftlichen Risiken einer abnehmenden Artenvielfalt. Das liegt auch daran, dass es in Bezug auf Biodiversität bislang sehr viel weniger gesetzliche Vorgaben gibt. Erst seit etwa einem Jahr existiert in der EU der Entwurf einer Verordnung über «abholzungsfreie Produkte» («deforestation-free products»), der ursprünglich von der EU-Kommission eingebracht und jüngst vom EU-Parlament nochmals verschärft wurde. 

Neue Verordnung über «abholzungsfreie Produkte»

Konkret geht es bei der noch nicht rechtskräftigen Regelung um Soja, Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kakao und Kaffee. Unternehmen sollen unter anderem nachweisen, dass Lieferanten Produkte oder deren Inhaltsstoffe nicht auf frisch abgeholzten Flächen gewonnen haben. Denn die Rodung von Wäldern zur Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen, aber auch die geänderte Nutzung von zuvor schon bewirtschafteten Böden – Stichwort Monokulturen – sind der Hauptgrund für den Verlust an Biodiversität. In den Tropen stehen nach einer Analyse des WWF etwa 80 Prozent der Abholzungen mit der Erzeugung der sechs oben genannten Agrarrohstoffe in Zusammenhang.

Mehr über den Autor

Dr. Henrik Pontzen leitet seit Januar 2019 die Abteilung ESG im Portfoliomanagement der Union Investment. Zuvor war er Berater bei Capco sowie zehn Jahre in verschiedenen Funktionen für die HSBC tätig. Seit 2016 ist er Vorstand der DVFA (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management). Er studierte Philosophie, Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Kopenhagen und ist seit 2010 Lehrbeauftragter für Risikomanagement und -ethik an verschiedenen Universitäten.

Union Investment wollte daher wissen, wie gut Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie sowie Hersteller von Körper- und Haushaltspflegeprodukten auf die geplanten regulatorischen Massnahmen gegen Entwaldung vorbereitet sind und was die Unternehmen bereits freiwillig dagegen tun. Denn abgesehen von Reputationsrisiken steigt die Wahrscheinlichkeit, dass durch Biodiversitätsverluste bestimmte Rohstoffe knapper werden und damit Geschäftsmodelle gefährdet sind. Beispielsweise könnten mittel- bis langfristig Agrarerträge sinken, weil es immer weniger bestäubende Insekten gibt. 

Dazu wurden im Sommer 2022 erstmals rund 56 Firmen angeschrieben, in die Union Investment zu diesem Zeitpunkt mit jeweils mindestens 3 Millionen Euro investiert war. Darunter waren nahezu alle relevanten Namen des Lebensmittelbereichs wie etwa Nestlé, Kraft Heinz, Danone, JBS, Kellogg sowie Pepsico und Coca-Cola. Bei Haushalts- und Körperpflegeprodukten wurden Firmen wie Beiersdorf, Henkel, Unilever, Essity (Tempo, Zewa) sowie Procter & Gamble kontaktiert. In einem detaillierten Fragebogen wurde um Auskunft zu den genannten Agrarprodukten gebeten. Der Fokus lag dabei auf einem möglichen Zusammenhang mit der Abholzung von tropischen Wäldern. 

Erste Erkenntnisse ernüchternd

Die ersten Erkenntnisse aus der Engagement-Initiative, die jährlich wiederholt werden soll, sind ernüchternd. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Unternehmen hat trotz Erinnerung bislang nicht reagiert, darunter Kraft Heinz, Kellogg, Pepsico und Coca-Cola, ferner Henkel und Essity. Die Antworten der übrigen Unternehmen zeigen, dass der Status quo meist unzureichend ist. Einer der wichtigsten Punkte des Fragebogens war: Hat das jeweilige Unternehmen eine sogenannte No Deforestation Policy – ein Regelwerk, um zumindest perspektivisch nur Produkte ohne möglichen Zusammenhang mit Rodungen anzubieten?

Ergebnis: Von den Unternehmen, die geantwortet haben, verfügen nur etwa zwei Drittel über ein solches Regelwerk. Und nur etwa bei der Hälfte ist dieses umfassend (alle Regionen, alle Rohstoffe, gesamte Lieferkette). Ob das jeweilige Regelwerk in der betrieblichen Praxis relevant ist und ob formulierte Ziele auch erfüllt werden, bleibt mangels eines detaillierten Reportings allerdings häufig offen. 

Fazit der Befragung 

Die meisten Unternehmen des Agrar- und Lebensmittelbereichs sowie Produzenten von Pflegeprodukten sind auf Regulierungsmassnahmen im Bereich Biodiversität und Abholzung schlecht vorbereitet. Denn das zentrale Problem ist, dass die Lieferketten nicht ausreichend kontrolliert werden.

Mehr Chance als Risiko ist für Investoren hingegen die Suche nach Unternehmen, die einen direkten Beitrag zum Artenschutz leisten könnten. Häufig sind das weniger bekannte Firmen wie das US-Unternehmen Trimble, das satellitengestützte Monitoringsysteme sowohl für Regenwälder als auch für Agrarflächen anbietet. Vereinzelt stösst man aber auch auf grössere Unternehmen wie den Landmaschinenhersteller John Deere, der mit «Smart Farming»-Lösungen unter Einsatz digitaler Technik versucht, bestehende Agrarflächen effizienter zu nutzen. 

Die Ergebnisse der 15. Weltnaturkonferenz dürften dazu beigetragen, solche Geschäftsmodelle für Investoren attraktiver zu machen.

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