Verschrumpelte Tomaten, Birnen mit Druckstellen, angetrocknetes Brot: Das Berliner Restaurant «Restlos Glücklich» setzt seinen Gästen ausschliesslich Lebensmittelabfälle vor. Das Geschäft boomt. Im ersten Test-Monat April sind die Tische in dem Lokal in Neukölln ausgebucht. Ab Juni soll das erste Food-Waste-Restaurant dann richtig eröffnen.
In der Küche verlangt das Konzept einiges ab: Bestellen Köche in anderen Restaurants passend für die geplanten Gerichte Lebensmittel, wird hier gekocht, was gesammelt wird. Nur selten kauft Koch Daniel Roick dazu – 90 Prozent der Gerichte bestehen aus «geretteten» Lebensmitteln, wie das Team die weggeworfenen Esswaren nennt. Was es gibt, hängt davon ab, was die Partner-Bio-Supermärkte und -Grosshändler dem Restaurant im Laufe des Nachmittags abtreten.
Rübenbällchen und Schokotorte
Das verlangt dem gelernten Küchenchef Erfindergeist ab: «Der Anspruch, alles zu verwerten, führt zu sehr kreativen Menüs», sagte Koch Roick zu FAZ.net. Was dabei entsteht sind etwa Tofu-Mangoldröllchen mit gegrilltem Brokkoli, Rübenbällchen mit Salat, Schokotorte mit Erdnussparfait und Himbeeren – den Gerichten sieht und schmeckt man der zufriedenen Kundschaft zufolge nicht an, dass nicht alles erntefrisch ist.
Koch Roick ist im Übrigen der Einzige, der fest angestellt ist. Alle anderen, vom Küchenhelfer bis zum Servicepersonal sind Freiwillige. Einige von ihnen haben übers Radio vom Restaurant erfahren, andere über Bekannte. Das soll sich aber bald ändern: Derzeit wird für das Restaurant eine Firma gegründet. Neben dem Koch sollen dann zwei weitere Personen fest angestellt werden.
Crowdfunding sammelte 25'000 Euro
Ursprünglich war «Restlos Glücklich» dank einer Crowdfunding-Initiative entstanden, die 25'000 Euro (rund 27'440 Franken) einbrachte. Alle Gewinne des Restaurants sollen in Bildungsprojekte fliessen, etwa in Aufklärungsarbeit über Lebensmittelverschwendung an Schulen.
Aktivisten weisen seit Längerem auf die Food-Waste-Problematik hin, sogenannte Dumpster Diver, also Mülltaucher, durchforsten Abfälle vor Supermärkten oder Restaurants. Denn die Verschwendung ist hoch: Laut der Umweltschutzorganisation WWF werden in Deutschland über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeschmissen.
No-Waste-Ansätze in der Schweiz
Auch hierzulande sieht es kaum besser aus: Schweizer werfen im Jahr rund zwei Millionen Tonnen einwandfreie Lebensmittel weg. Pro Person sind das im Schnitt 117 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr. Das entspricht Nahrung im Wert von 500 bis 1000 Franken pro Jahr und Kopf, sagt WWF-Sprecherin Corina Gyssler zu handelszeitung.ch. «Schweizerinnen und Schweizer investieren also mehrere Milliarden Franken in Lebensmittel, die gar nie in ihrem Magen landen», so Gyssler.
Ansätze, gegen Food Waste vorzugehen, gibt es auch hier: Die Bäckerei «Äss-Bar» in Zürich etwa verkauft ausschliesslich Backwaren vom Vortag. Was immer ihre Partner-Bäckereien nicht verkaufen, kommt bei ihr nochmal in die Theke – zum halben Preis. Das Restaurant «Zum guten Heinrich» kocht mit Früchten und Gemüse, das auf dem Feld aussortiert wurde, weil es nicht der gewünschten Form oder Konsistenz entsprach. Der Mirko Buri-Takeaway in Bern achtet ebenfalls im Sinne einer No-Waste-Policy darauf, dass möglichst wenig der Zutaten im Abfall landen.
Food-Waste-Verbot in Frankreich
Andere Länder kämpfen bereits mit mehr Nachdruck gegen Food-Waste: In Dänemark gibt es bereits ein Food-Waste-Restaurant, das Rub & Stub. Anfang Jahr machte in der Hauptstadt Kopenhagen der erste Supermarkt auf, der ausschliesslich abgelaufene Lebensmittel verkauft.
Frankreich hat im Februar sogar ein Gesetz verabschiedet, wonach grosse Supermärkte Nahrungsmittel nicht mehr vor ihrem Ablaufdatum wegschmeissen dürfen. Den Geschäften ist es fortan auch verboten, Lebensmittel extra ungeniessbar zu machen, um Dumpster Diving wegzuhalten.
Alte Burger bei der UNO
Abfälle schafften es letztes Jahr sogar auf die Teller der Staatenlenker aus aller Welt: Am UNO-Nachhaltigkeitsgipfel im September wurde den Regierungschefs ein Menü aus Abfall vorgesetzt: Es gab vegetarischen Burger und Pommes Frites. An altes Fleisch traute man sich dann wohl doch nicht heran.