Der Gegensatz zwischen trüber Stimmung und Verbesserung der ökonomischen Realität ist gross – Ausgangspunkt für weitere positive Überraschungen beim SPI und die Erholung der weltweiten Aktien.
Klingt das für Sie zu optimistisch? Verständlich, aber eine typische Reaktion auf Tiefpunkte in Bärenmärkten ist, wenn der Pessimismus des Unglaubens, den ich diesen Sommer ausführlich beschrieben habe, dafür sorgt, dass sich die Anleger und Anlegerinnen auf Hiobsbotschaften konzentrieren, alles Positive zurückweisen und überzeugt sind, dass alles Gute bald vergehen wird. Davon haben wir momentan reichlich. Das Forschungsinstitut Sentix schätzt die Konjunkturerwartungen in der Schweiz als zutiefst gedämpft ein. Umfragen in den USA, in Deutschland und in UK ebenfalls.
Es keimen jedoch positive Entwicklungen auf. Nehmen wir die globalen Lieferketten. Der Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York, der den Druck auf die weltweiten Lieferketten angibt, schloss das Jahr 2019 mit 0,01 – also kein Signal für Probleme. Im letzten Dezember erreichte er den Wert 4,3. Und heute? Liegt er bei 1,0 – etwas erhöht, aber weit entfernt vom Höchststand der Unterbrechungen. Der Baltic Dry Index der Seefrachtraten liegt um 77,6 Prozent unter dem Höchstwert von Oktober 2021. Die Einkaufsmanagerindizes weisen darauf hin, dass sich die Lieferketten entspannen und der Preisdruck nachlässt. Der S&P-Global-/BME-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe wies den geringsten Anstieg der Herstellungskosten seit 21 Monaten auf.
Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen in sechs Ländern, die rund 188 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investment-Managern der USA.
Das fördert eine weitere positive Überraschung: eine Energierealität in Europa, die sich besser als befürchtet darstellt. Nachdem die russische Invasion zu Sanktionen geführt hatte, wurden die Ölversorgungsketten umstrukturiert – schnell. Indien und China kauften russisches Rohöl mit einem Abschlag und gaben damit andere globale Lieferungen für Europa frei. Bis zum dritten Quartal übertraf das weltweite Ölangebot die Nachfrage – daher der Rückgang der Ölpreise um minus 32.4 Prozent in Dollar seit März. Ja, die Benzinpreise bleiben in der Schweiz und weltweit hoch – aber sie fallen. In den USA liegen sie um 26,1 Prozent unter den Höchstwerten.
Gas? Selbst inmitten von Abschaltwarnungen in der Schweiz beträgt der Füllgrad der benachbarten Lager in der Eurozone 95 Prozent – was der Schweiz über den Handel zugutekommt. Eine dänische und polnische Pipeline nach Mitteleuropa soll im Dezember in Betrieb gehen. Weitere europäische Flüssiggasterminals werden im ersten Quartal 2023 ans Netz gehen. Die Schlagzeilen blenden diese Entwicklungen aus und sind geprägt von «Ja, aber nächstes Jahr wird es noch schlimmer sein.» – der klassische Pessimismus des Unglaubens.
Unterdessen entwickelt sich das BIP-Wachstum im dritten Quartal weltweit im Grossen und Ganzen positiv. Das annualisierte Wachstum in Deutschland stieg um 1,2 Prozent, während es in der gesamten Euro-Zone mit 0,8 Prozent die Erwartungen übertraf. In den USA wurde das annualisierte Wachstum mit 2,6 Prozent positiv. Das Wachstum in China erreichte 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Rückgang in Japan? Teilweise eine Verzerrung der Importpreise durch den schwachen Yen – im vierten Quartal dürfte die Aufhebung von Reisebeschränkungen helfen.
Pessimisten und Pessimistinnen sehen immer noch eine anstehende Rezession. Aber die Kreditvergabe bleibt weltweit hoch. Das Kreditwachstum in den USA erreichte im Oktober ein Wachstum von 12,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Warum? Wie ich in meiner letzten Kolumne erklärt habe, halten üppige Einlagen die Sparzinsen weltweit niedrig – was Ihnen wohl bekannt ist. Damit liegen die Finanzierungskosten der Banken trotz steigenden kurzfristigen Zinsen fast bei null – was die Kreditvergabe anheizt. Das könnte die Inflation verlängern. Aber es entkräftet die Befürchtungen einer Zinserhöhung, die das Wachstum erstickt.
Ein weiterer Pluspunkt: das Reisen. Flugreisen nahmen im September im Vergleich zum Vorjahr um 57 Prozent zu und erreichten 74 Prozent des Niveaus von vor der Pandemie. Bis zu den ersten beiden Novemberwochen lag der globale Durchschnitt der Restaurantreservationen gemäss Open Table um 5,2 Prozent über dem desselben Zeitraums 2019. In der Schweiz verzeichnete Basel den höchsten Herbsttourismus seit 2019, während die Hotelbuchungen in den Alpen für den Winter auf eine starke Skisaison hindeuten.
All diese erkennbar werdenden, aber zurückgewiesenen positiven Punkte überschneiden sich mit dem «Midterm Miracle» der US-Wahlen, das ich im August ausführlich beschrieben habe. Richten Sie Ihren Blick fest über die gedrückte Stimmung hinaus und nehmen Sie die zunehmenden Gründe für Optimismus wahr.