Es wird immer offensichtlicher, dass technologische Innovationen eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels, bei der Erreichung der Netto-Null-Ziele und bei der Heilung des Planeten spielen werden. Daher ist es sinnvoll, vom weltweit führenden Land in Sachen Innovation zu lernen.
Atemberaubende Alpenpässe, Ski fahren, Uhrmacherei, Schokolade, Fondue, Heidi, Neutralität, Banken und natürlich Davos. Das sind einige der Dinge, die einem beim Gedanken an die Schweiz in den Sinn kommen. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass das Land seit zwölf Jahren in Folge an der Spitze des Globalen Innovationsindex steht.
Der von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) erstellte Index bewertet Länder in Bereichen wie der Anzahl der jährlich angemeldeten Patente, dem Anteil der in Forschung und Entwicklung fliessenden Gelder am BIP und der Robustheit ihrer Bildungssysteme. Die Schweiz hat in diesen Bereichen eine unerschütterliche Konsequenz bewiesen und hat darüber hinaus Mittel und geistige Ressourcen in so unterschiedliche Bereiche wie Fintech, Pharmazeutika und Ernährungssysteme investiert.
Infolgedessen haben sich im ganzen Land unzählige Zentren gebildet, in denen Innovation in einem bestimmten Bereich gefördert und unterstützt wird. Die Schweiz hat auch eine eigene Agentur – Innosuisse –, deren Aufgabe es ist, wissenschaftsbasierte Innovationen zu finanzieren; ausserdem trägt die Arbeit ihrer Universitäten häufig zur Gründung von Startups bei. Hier ist zum Beispiel Climeworks zu nennen, die weltweit erste kommerzielle Technologie zur Kohlenstoffentfernung, ein Ableger einer der wichtigsten Technologieuniversitäten. Das Unternehmen entwickelt vermehrt Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung, hat Pläne für eine zweite kommerzielle Anlage in Island angekündigt und möchte bis 2050 jährlich 1 Milliarde Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen.
Alois Zwinggi ist Mitglied der Geschäftsleitung des Weltwirtschaftsforums.
Was kann die Welt vom Schweizer Ansatz lernen?
Auf den ersten Blick hat die Schweiz nicht viele Vorteile. Das Land ist klein, gebirgig und von Land umgeben, hat nur 8,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und ist von grösseren, einflussreichen Ländern umgeben. Allerdings konnte es Aspekte, die manche als Nachteile ansehen, zu seinen Gunsten nutzen.
Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Schweiz. Sie verfügt über ein leistungsfähiges Lernsystem, das von der frühen Kindheit bis zur Hochschulreife reicht. Das Land hat die weltweit höchste Dichte an Top-500-Hochschulen pro Kopf der Bevölkerung, angeführt von den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen ETHZ in Zürich und EPFL in Lausanne, die weltweit ein hohes Ansehen geniessen. Hier wird sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung betrieben, die sowohl das Streben nach Wissen als auch nach Lösungen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme unterstützt. Es überrascht nicht, dass dies zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und der Industrie des Landes führt. Formal festgeschrieben wird dies durch das Netzwerk der acht Schweizer Fachhochschulen, die als Brücke zwischen der Grundlagenforschung an den grösseren Institutionen und der Industrie, insbesondere den KMU, fungieren.
Dank dieser soliden Grundausbildung in Studium und Anwendung verfügt die Schweiz über qualifizierte Arbeitskräfte, die sich durch Fleiss und Initiative auszeichnen. Für diejenigen, die keine Hochschulbildung anstreben, gibt es die gut entwickelte Alternative einer Berufsausbildung mit Umschulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten während der gesamten beruflichen Laufbahn. Darüber hinaus stärkt die Politik der Regierung das Arbeitskräftepotenzial durch die Förderung internationaler Arbeitskräfte mit gefragten Qualifikationen.
Diese Dynamik und die geringe Grösse des Landes haben zur Entwicklung thematischer Innovationsbereiche beigetragen. Hierzu gehören die Crypto Valley Association, die ihren Ursprung im Kanton Zug hat und sich auf die internationale Blockchain-Entwicklung konzentriert. Oder das Drone Valley mit den beiden Standorten in Lausanne und Zürich, das sich auf die Entwicklung von Drohnen konzentriert, die in Bereichen wie Solarenergie und Umweltschutz eingesetzt werden können, sowie das Swiss Food and Nutrition Valley, das die Innovation von Ernährungssystemen stärkt.
Die Finanzierung ist ein weiterer wichtiger Aspekt für den Erfolg der Schweiz. Das Land gibt mehr als 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus (25,5 Milliarden Dollar im Jahr 2019), wovon etwa zwei Drittel auf den privaten Sektor entfallen. Ein Indiz für die positiven Auswirkungen ist die Zahl der Patente, die in der Schweiz jährlich angemeldet werden. Pro Kopf verzeichnet das Land seit Jahren den höchsten Wert weltweit; 8442 im Jahr 2021, wobei der Schwerpunkt auf der Medizintechnik liegt.
Von den Herausforderungen der Schweiz lernen
Kein Land kann es sich leisten, selbstzufrieden die Hände in den Schoss zu legen, vor allem nicht angesichts des Ausmasses der globalen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Die Schweiz bildet hier keine Ausnahme. Wie die Platzierung im Global Competitiveness Index zeigt, sieht sich das Land einem zunehmenden Wettbewerb an der Spitze ausgesetzt, und zwar mit langjährigen Konkurrenten wie Schweden und den USA, Schwergewichten wie China und regionalen Stars wie Südkorea. Im Index 2012/2013 belegte die Schweiz den ersten Platz und wurde für ihre fast durchgängig guten Leistungen in den Bereichen Innovation, Bildungsangebot, Arbeitsmarkteffizienz, Ausgereiftheit des Unternehmenssektors, Stärke der Forschungseinrichtungen, F&E-Ausgaben, wirksame und transparente öffentliche Einrichtungen und starke Rechtsstaatlichkeit gelobt. 2019 war das Land auf den fünften Platz abgerutscht und lag vor allem in Bereichen wie der Unternehmensdynamik zurück.
Die Regierung hat darauf reagiert und beispielsweise die Bürokratie abgebaut, um die Verfahren für Unternehmensgründungen zu vereinfachen. Die Lektion, die andere Länder beherzigen sollten, ist die Notwendigkeit, solide Grundlagen wie Bildung oder Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig mit der sich verändernden Geschäfts- und Investitionslandschaft Schritt zu halten. Dieser noch etwas verschwommene Trend schafft neue Herausforderungen und Bereiche, die eine Entwicklung mit einer sehr flexiblen Entscheidungsfindung verlangen.
Eine zweite, schwieriger zu bewältigende Herausforderung, die für andere Länder aber ebenfalls lehrreich ist, ist die Mentalität des Landes. Die Schweizer und Schweizerinnen gelten gemeinhin nicht als risikofreudig. Vor dem Hintergrund des starken Fokus auf Innovation scheint dies kurios, doch schaut man etwas genauer hin, stellt man fest, dass die Schweizer Mentalität auf Perfektionismus abzielt und kein Scheitern zulässt. Das Scheitern ist mit einem sozialen Stigma behaftet, insbesondere bei Themen wie dem Privatkonkurs. Im Zeitalter der Startups, die in anderen Teilen der Welt mit schöner Regelmässigkeit entstehen und scheitern, muss sich die Schweizer Mentalität dahingehend ändern, dass sie die Risikobereitschaft fördert, Misserfolge toleriert und bereit ist, neue Arten des Handelns und Denkens in der Wirtschaft finanziell zu unterstützen.
Die Geschichte zeigt, dass radikale Innovationen in der Regel zu einem höheren Lebensstandard und einer besseren Produktivität beitragen. Wir befinden uns in einer Ära radikaler Innovation, in der der technologische Wandel grosse Veränderungen mit sich bringt und, wenn wir Glück haben, auch Lösungen für unsere dringendsten Probleme. Der Umgang der Länder mit diesen turbulenten Aussichten wird unterschiedlich ausfallen, doch das von einem der kleinsten ressourcenarmen Binnenstaaten der Welt geschaffene Modell könnte wertvolle Erkenntnisse liefern.
Dieser Artikel ist Teil des Jahrestreffens 2023 des World Economic Forum.
1 Kommentar
Ein sehr schöner Artikel Herr Zwinggi. Als nicht gürtiger Schweizer kann ich das fast zu 100% bestätigen. Was nur einfach zu diesm Thema interessanterweise dazu gehört ist die Erziehung und Ausbildung der jungen Generation zur direkt demokratie. Unsere Europäischen Startups habe da einen interessanten Unterschied gezeigt. Gründer mit Dickkopf oder schweizer Gründer mit viel hörem Teamgeist - weil frühzeitig daran gewohnt einen demokratischen Konsens zu find.
Wir haben aber auch ein anderes sehr interessantes Phenomem gefunden was die hohe Erfolgsrate schweizer Startups erklären könnte. Dies ist natürlich nur eine subjektive Erfahrung. Die nicht so hohe Fehlertoleranz führt zu höherer Zielstrebigkeit, mehr Akuratess schon am start und zu einer gar nicht so schlechten natürlichen Auslese. In unseren Startup Accelerator Programmen die Schweizer und die ebenso fleissigen Vietnamesen den EU Europäern und Silicon Valley Startups an Qualität und Erfolgsrate sichtbar überlegen.