Kürzlich lud mich Marc Almert an eine Weindegustation in der Weinhandlung des «Baur au Lac» ein. Er, ein zurückhaltender Typ in Hemd und Anzug, sieht eher aus wie ein Banker vom naheliegenden Paradeplatz. Dabei gehört Almert zu den Premier Crus der Weinwelt: Im Jahr 2019 «durfte» er – seine Wortwahl – den renommierten Titel als «Best Sommelier of the World» entgegennehmen. Die Weinregale in der Filiale ziehen sich vom Boden bis an die Decke. Zig Schätze lagern hier. Doch auf unserem Programm stand alkoholfreier Wein. Warum nur?!, fragte ich mich.
Doch man soll schliesslich den Horizont erweitern. Genau so verhält es sich aktuell noch mit alkoholfreiem Wein: Er befindet sich in der Experimentierphase. Am weitesten vorangeschritten ist diese beim Schaumwein. Millionenumsätze von Firmen wie Rimuss & Strada bezeugen das. Der Schaumwein hat denn auch einen Vorteil gegenüber den Stillweinen: Die Kohlensäure übertölpelt den anspruchsvollen Gaumen. Das beweisen die französischen Produkte «French Bloom», deren Perlage jener des Champagners in nur wenig nachsteht.
Bei den Stillweinen hingegen, weiss oder rot, erwartet man das gleiche Rundumerlebnis wie beim Original. Und genau wegen dieser Erwartungshaltung enttäuschen alkoholfreie Weiss- und Rotweinprodukte nach wie vor. Der Graben zwischen Vorstellung und Realität klafft schlichtweg noch zu weit auseinander. Der Grund: Beim Entalkoholisieren entziehen die Winzer dem Wein bis zu 15 Prozent Alkohol. Das ist wie ein Café de Paris mit Margarine statt mit Butter. Ein Graus.
Der Vergleich zu pflanzlichen Fleischprodukten drängt sich auf: Der Schaumwein entspricht sozusagen dem fleischlosen Hühnchen. Es gibt Alternativen, mit denen man experimentiert und sie auf dem Teller akzeptiert. Doch das pflanzliche Kalbsschnitzel oder ein Gemüse-Entrecôte sind noch immer No-Gos.
Typisch: Zeero Sangiovese Non-Alcoholic
Zig verschiedene Weine hat Marc Almert degustiert, der entalkoholisierte Sangiovese aus der Toskana ist sein Wahlprodukt. Beim Degustieren zeigt sich: In der Nase finden sich tatsächlich die klassischen Noten von Zwetschgen und Beeren. Im Gaumen dann eine zweite Überraschung: Ein leichter Pelz auf der Zunge – der Wein hat tatsächlich Tannin! Der Abgang bleibt, wie bei alkoholfreien Weinen üblich, eher kurz. Doch für einen Rotwein mit null Prozent ist das alleweil einen Versuch wert.
Zeero Sangiovese, Toskana, Italien, 17.50 Franken, 0% vol. Alk.
Doch warum hält der Hype trotzdem an? Warum investieren Firmen wie Rimuss & Strada Millionen in die Erstellung von Entalkoholisierungsanlagen?
Die Antwort: Der Markt fordert es. Der Kunde – bekanntlich König – interessiert sich für diese Produkte. Deshalb müssen Hotels und Restaurants Alternativen im Sortiment haben. Beim Wine Pairing servieren innovative Gastronominnen auch mal ein alkoholfreies Produkt zu einem Gang. Dabei suchen sie die bisher besten Produkte: trockene Weissweine ohne Alkohol, Rotweine, die auch ohne Prozente Tannin haben und lange im Gaumen nachwirken.
Ansätze für solche Produkte gibt es, doch die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Dass bis in zwei Jahren zwei Anlagen auf hiesigem Grund stehen sollen, lässt Hoffnung auf eine Qualitätssteigerung aufkommen. Bis dann aber bleibt der alkoholfreie Wein Schwangeren, Autofahrern und experimentierfreudigen Weinliebhaberinnen vorbehalten.
In dieser Kolumne schreiben die «Handelszeitung»-Redaktoren Michael Heim und Ben Müller sowie die Autorin Tina Fischer alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Fischers Familie besitzt eine gleichnamige Weinhandlung; über das angesammelte Wissen schreibt sie heute.