Im Interview geben sieben Expertinnen und Experten ausführlich Antwort zu den wichtigsten Fragen im Immobilienmarkt. Mit dabei sind Claudio Baumann, Inhaber der Baumann Estate AG, Daniela Doychinova, Partnerin bei Nobilis Estate AG, Claude Ginesta, CEO der Ginesta Immobilien AG, Adrian Künzi, Gründer und CSO der Properti, Georges Luks, CEO/Chairman der Zurich Sotheby’s International Realty, Andry Niggli, CEO der Niggli & Zala AG Immobilien, und Marianne Walde, VR-Mitglied bei Walde Immobilien.

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Welche Veränderungen haben Sie durch die Wende im Zinsumfeld beim Verkauf von Privatdomizilen festgestellt?

Baumann: Die Inflation und das veränderte Zinsumfeld sind spürbar. Die Käufer sind preissensitiver geworden, und der Entscheidungsprozess für einen Kauf dauert länger. Doch die Nachfrage nach Wohneigentum an guten Lagen bleibt hoch, und das Angebot ist begrenzt. Dennoch rechnen wir damit, dass sich der rasante Preisanstieg der letzten zwei Jahre nicht mehr im gleichen Ausmass fortsetzen wird. Viele Kundinnen und Kunden möchten vom aktuell hohen Preisniveau sowie der grossen Nachfrage profitieren und sehen jetzt einen guten Zeitpunkt, um ihre Immobilie zu verkaufen.

Doychinova: Die Nobilis Estate AG bietet vornehmlich sehr hochwertige Liegenschaften und Liebhaberobjekte an. Selbst in diesem Segment nehmen die Käufer zurzeit eine Neubewertung der Finanzierung vor, was manchmal zu Verzögerungen, aber kaum zum Zurückziehen der Kaufabsicht führt. Die Nachfrage im Premiumsegment ist weiterhin stark.

Ginesta: Aktuell stellen wir noch keine Veränderung fest. Private können mit Saron-Hypotheken nach wie vor sehr günstig mit 60 bis 100 Basispunkten finanzieren. Laut Bankenkreisen ist es im Moment das meistgewählte Produkt. Soweit die Vorhersagen eintreffen und sich die Inflation abflacht, werden sich die Zinskosten nur um 75 bis 100 Basispunkte erhöhen. Hier sprechen wir immer noch von einem sehr tiefen Zinsniveau.

Künzi: Die Zinserhöhungen sowie die steigenden Energie- und Baupreise verunsichern die Immobilieneigentümer zunehmend. Obschon sich die Wohneigentumspreise bisher völlig unbeeindruckt von der Zinswende zeigen, erhalten wir vermehrt Anfragen für dezidierte Beratungen. Speziell bei anstehender Verlängerung einer auslaufenden Hypothek, aber auch bei sanierungsbedürftigen Immobilien.

Luks: Trotz steigenden Zinsen haben wir in der Praxis keine Senkung der Preise oder der Nachfrage für Privatdomizile konstatieren können. Was sich jedoch geändert hat, sind die Entscheidungswege in Bezug auf die Hypothek: Sie werden länger. Privatpersonen haben ein stärkeres Bedürfnis nach Beratung durch eine oder mehrere Banken bei der Wahl der richtigen Hypothek.

Niggli: Bei Zweit- und Ferienwohnungen im mittleren und oberen Segment haben wir praktisch keine Veränderungen auf der Nachfragerseite festgestellt. Interessenten sind nach wie vor bereit, für eine attraktive Zweitwohnung die entsprechenden Kaufpreise zu bezahlen und die Finanzierung mit zusätzlichen Eigenmitteln sicherzustellen.

Walde: Grundsätzlich stellen wir fest, dass sich der Markt wieder auf Vor-Corona-Niveau normalisiert. Ein möglicher Immobilienkauf wird im Moment aber wirklich gut überdacht, Verkaufspreise werden stärker hinterfragt. Darum gibt es weniger ernsthafte Interessenten pro Objekt, was zu längeren Vermarktungszeiten führt.

Baumann: Die Anzahl Transaktionen von Renditeobjekten hat durch das veränderte Zinsumfeld spürbar zugenommen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Durch den Anstieg der Hypothekarzinsen sinken tendenziell die Renditen auf den Objekten. Viele institutionelle Anleger haben in den letzten Jahren dank tiefen Zinsen und mangels Alternativen in Renditeobjekte investiert trotz knappen Renditen. Dies könnte sich bei anstehenden Refinanzierungen zu deutlich höheren Zinssätzen rächen und dazu führen, dass wieder vermehrt Objekte auf den Markt kommen.

Doychinova: Mehrfamilienhäuser bleiben trotz hoher Preise für Investoren sehr attraktiv. Hohe Baukosten, Materialknappheit und weiterhin steigende Zinsen werden den Markt mittel- bis langfristig prägen. Kurzfristig erwarten wir keine grossen Preisschwankungen.

Ginesta: Wir spüren, dass institutionelle Anleger bei Mehrfamilienhäusern vorsichtiger sind und sich die Renditen wieder leicht nach oben bewegen. Wir gehen davon aus, dass mit höheren Zinsen Renditeliegenschaften zukünftig etwas an Wert verlieren. Man muss aber abwarten, wie sich die Inflation entwickelt und welche Zinsschritte die Nationalbank tätigt.

Künzi: Das Interesse an Investitionen und die Zahlungsbereitschaft sind nach wie vor vorhanden, jedoch nicht wie bis anhin zu jedem Preis. Die Inflation, die Erhöhung der Baustoffpreise und das veränderte Zinsumfeld haben sich bemerkbar gemacht. Die Bodenknappheit verschiebt den Bauschwerpunkt immer mehr in Richtung Umbau und Ersatzneubau. Es gilt, das höchste Potenzial auf den knappen Baugrundstücken zu realisieren. Themen wie Verdichtung und Nachhaltigkeit werden im nächsten Jahr eine noch wichtigere Rolle spielen.

Luks: Auch auf dem Markt für Mehrfamilienhäuser stellen wir vorerst keine Preissenkung fest. Ob dies so bleibt, ist unklar. Steigende Zinsen könnten zur Folge haben, dass Mehrfamilienhäuser in Konkurrenz zu anderen Anlagemöglichkeiten treten, was das Interesse an Mehrfamilienhäusern mindern und zu einer Preissenkung führen könnte.

Niggli: Der Markt für Mehrfamilienhäuser in Tourimus-Bergregionen bewegt sich auf sehr tiefem Niveau. Hier kommen sehr selten Mehrfamilienhäuser auf den Markt. Falls dies doch geschieht, handelt es sich grösstenteils um Objekte mit Umnutzungspotenzial und Zweitwohnungsstatus. Die Vermarktung erfolgt dann in der Regel off-market und im Bieterverfahren.

Walde: Nach der Leitzinserhöhung haben viele Anleger zunächst abgewartet. Da sich die Preise nicht merklich Eigenkorrigiert haben, sind sie wieder aktiv. Aktuell erleben wir eine solide Nachfrage auf einem hohen Preisniveau. Wir erwarten daher auch im nächsten Jahr keinen Preiszerfall.

Was ist Ihre Prognose bezüglich der Abschaffung des Eigenmietwerts?

Baumann: Zuerst einmal freut es mich, dass der Handlungsbedarf bezüglich Eigenmietwert erkannt wurde. Die Mehrheit der Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK-N) hat im August die Abschaffung gutgeheissen. In einigen Punkten geht die Kommission jedoch weiter, zum Beispiel bei den möglichen Steuerabzügen. Wie befürchtet wurde in der Herbstsession die Maximalvariante leider zurückgewiesen. Nun muss ein neuer, mehrheitsfähiger Vorschlag vorgelegt werden.

Doychinova: Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist meines Erachtens nur eine Frage der Zeit. Ob die Vorlage der WAK-N tatsächlich Erfolgschancen hat, bleibt abzuwarten. Zweifelsohne ist die Politik gefordert, eine langfristig gute Lösung zu finden.

Ginesta: Der Eigenmietwert müsste längst abgeschafft werden. Leider sind die Partikularinteressen der Parteien innerhalb von National- und Ständerat nicht kongruent, und wir gehen davon aus, dass eine Abschaffung schwierig wird. Besonders der Wegfall der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und Unterhaltskosten könnte die Abschaffungsbemühungen zu Fall bringen.

Künzi: Viele Hausbesitzer ärgern sich über den Eigenmietwert. Eigentümer im Pensionsalter haben ein tieferes Einkommen und oft keine abzugsfähigen Schuldzinsen mehr. Das Eigenheim als Altersvorsorge verliert an Attraktivität und wird zur finanziellen Belastung, Für Jüngere bleibt der Ersterwerb aufgrund der «Strafsteuer» eine Illusion. Die aktuelle parlamentarische Diskussion ist ein wichtiger Schritt, Wohneigentum zu fördern und nicht zu bestrafen.

Luks: Es ist schwierig, die Chancen einer kompletten Abschaffung des Eigenkorrigiert mietwerts zu prognostizieren. Denkbar sind Kompromisslösungen. Komplett werden wir den Eigenmietwert vermutlich nicht los – immerhin konnte er in den letzten 80 Jahren trotz Kritik und Versuchen zur Abschaffung immer wieder überleben.

Niggli: Die Chancen auf die Abschaffung werden durch die Definition der Eckwerte der WAK-N geschwächt, da diese weiter geht als diejenige vom Ständerat, zum Beispiel mit der Beibehaltung des Unterhaltskostenabzugs, mit dem Schuldzinsabzug von 100 statt 70 Prozent oder dem Systemwechsel auch für Zweitliegenschaften.

Walde: Das Thema der Abschaffung des Eigenmietwerts begleitet uns nun schon seit langer Zeit. Bisher ist es der Politik offenbar nicht gelungen, aufzuzeigen, dass die Erhöhung des steuerbaren Einkommens durch Aufrechnung eines zusätzlichen, «fiktiven» Einkommens eine unfaire Praxis ist.

Frau und Mann sitzend im Garten ihres Einfamilienhauses, Kinder spielen im Garten

Am beliebtesten und entsprechend rar sind Einfamilienhäuser, zentral gelegene Liegenschaften oder solche mit grossem Grundstück.

Quelle: Getty Images/Westend61

In welchem Angebotssegment klaffen im Moment Angebot und Nachfrage am meisten auseinander?

Baumann: Die hohe Nachfrage nach Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern übersteigt das Angebot in vielen Regionen um ein Vielfaches. Gerade in unruhigen Zeiten ist die Schweiz mit ihrer Sicherheit, ihrer Stabilität und der hohen Lebensqualität auch bei internationalen Kunden sehr gefragt. Hier erkennen wir den grössten Gap zwischen Angebot und Nachfrage.

Doychinova: Es kommen nur wenige neue Objekte auf den Markt, und diese treffen auf eine anhaltend hohe Nachfrage. Das betrifft alle Segmente, vor allem aber die schon immer stark gesuchten Eigentumswohnungen, Einfamilienhäuser und Villen in der Stadt und nahe der Zentren.

Ginesta: Im Moment ist der Immobilienmarkt noch sehr robust, und wir stellen keine Marktverwerfungen fest. Bei den meisten Segmenten besteht immer noch ein deutlicher Nachfrageüberhang. Wir wären dankbar, wenn sich der Markt etwas normalisieren würde, das heisst, dass Angebot und Nachfrage im Einklang stünden. Derart dramatische Preissteigerungen sind à la longue ungesund und führen zu sozialem Unfrieden.

Künzi: Am beliebtesten und entsprechend rar sind Einfamilienhäuser, zentral gelegene Liegenschaften oder solche mit grossem Grundstück. Auf dem Verkäufermarkt führt das dazu, dass die Preisvorstellungen weit über dem Marktwert liegen. Der Mietermarkt zeigt in den Ballungsräumen weiterhin ein knappes Angebot. Durch die anhaltende Zuwanderung, höhere Zinsen und teurere Baumaterialien für Neubauten liegen Angebot und Nachfrage auch hier deutlich auseinander.

Luks: In allen Angebotssegmenten – Stockwerkeigentum, Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser – haben wir schon seit langer Zeit einen Käufermarkt. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem.

Niggli: Angebot und Nachfrage gehen zurzeit am meisten auseinander bei Ferien-/ Zweitwohnungen im mittleren und höheren Segment. Objekte mit einer Fläche von rund 200 bis 250 Quadratmetern, top erneuerte Bauten wie auch Bestandesimmobilien mit Erneuerungspotenzial sind sehr rar. Die Nachfrage für solche Objekte zum Beispiel im Oberengadin ist sehr hoch.

Walde: Die Nachfrage nach freistehendenden Einfamilienhäusern oder Baugrundstücken in städtischen oder stadtnahen Gebieten ist nach wie vor sehr gross, das entsprechende Angebot klein. Die aktuelle wirtschaftliche Lage hat auf dieses Nachfragesegment keinen oder nur einen bescheidenen Einfluss.

Was raten Sie Kaufwilligen derzeit?

Baumann: Aus Erfahrung gibt es keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt für den Kauf einer Immobilie. Vielmehr kommt es auf die individuelle Situation der Käuferschaft an. Das Wichtigste ist eine sorgfältige Prüfung der Finanzierung und stärker in unterschiedlichen Szenarien zu denken, damit sich die Käufer bei Marktveränderungen finanziell nicht überfordern. Das bedeutet auch, die Neben- und Unterhaltskosten vor einem Kauf genau zu berücksichtigen.

Doychinova: Wenn man eine Immobilie erwerben will, sollte man sich umsehen, unabhängig von der Marktsituation. Der Kauf von Wohneigentum ist ein «Bewusstwerdungsprozess», an dessen Ende idealerweise eine Liegenschaft steht, die den persönlichen Vorstellungen sehr nahe kommt. Darüber hinaus ist es wichtig, sich umfassend über die eigenen Möglichkeiten und Finanzierungsalternativen zu informieren.

Ginesta: Der Kauf eines Eigenheims ist nach wie vor zu empfehlen, da die Zinsen historisch immer noch sehr tief sind und begründete Zuversicht herrscht, dass man die Inflation in den Griff bekommt. Pessimisten, die auf einen Crash oder einen starken Abschwung hoffen, sollten berücksichtigen, dass dann wohl die Hypothekarzinsen deutlich höher wären und die Haltekosten für Immobilien deutlich steigen würden.

Künzi: Die gestiegenen Zinsen haben sich auf die Möglichkeit oder die Wahl beim Hauskauf niedergeschlagen. Inwiefern der Kauf von privatem Wohneigentum derzeit die richtige Wahl ist, hängt neben der Marktlage von weiteren Faktoren wie der persönlichen Situation, den Finanzen und Zukunftsplänen des Käufers ab. Der Immobilienkauf ist komplex, umso wichtiger ist es, die Details zu kennen. Wir raten Kaufwilligen, auf Beratung durch Spezialisten zu setzen.

Luks: Immobilien als Investition bleiben eine gute Kapitalanlage, vorausgesetzt, der Entscheid basiert auf einer kompetenten Beratung und auf einer Finanzierung, die langfristig tragbar ist.

Niggli: Wir raten den Kaufwilligen, keineswegs überstürzt Objekte an mittleren Lagen oder in Stockwerkeigentümer-Gemeinschaften mit Konfliktpotenzial zu erwerben. Im Weiteren empfehlen wir, die Objekte durch ausgewiesene Experten prüfen zu lassen (Due Diligence). Gute Kaufgelegenheiten ergeben sich auch durch die Erteilung von Suchmandaten an erfahrene Makler mit einem grossen Marktpotenzial.

Walde: Immobilien sind gerade in Krisenzeiten eine sichere Anlage. Wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind, sollte man also bei einer geeigneten Immobilie zuschlagen. Wer zuwartet und auf tiefere Preise spekuliert, könnte enttäuscht werden. Angesichts der Zinslage bietet sich eine Kurzfristhypothek an.

Dieser Artikel erschien zuerst bei «homes», Das Magazin für Wohnen und Immobilien.