Konzerne wie Nestlé produzieren jedes Jahr Millionen Tonnen Plastik-Abfälle. Nun versprechen sie Besserung. Ob sie das Problem in den Griff bekommen?
Der Jangtse zählt mit einer Länge von 6300 Kilometern zu den grössten Flüssen Asiens. Er führt durchschnittlich 32'000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde – über sechsmal mehr als die Donau, der grösste Fluss Westeuropas. Oder sechzehnmal mehr als der Rhein.
Doch der asiatische Gigant ist nicht nur eine Quelle des Lebens. Die Menschen haben ihn auch zur grössten Müllentsorgungsanlage der Welt gemacht. 330'000 Tonnen Plastik transportierte der Jangtse 2015 in die Weltmeere, dreimal mehr als der zweitplatzierte Ganges.
Das entspricht der Menge, die es braucht, um 16 Milliarden 50-Zentiliter-Plastikflaschen herzustellen. Würde man sie aneinanderreihen, ergäbe das eine Pet-Flaschen-Schlange, die mehr als viermal von der Erde zum Mond und zurück reichen würde.
Millionen von Tonnen Plastik in den Weltmeeren
Das Plastikproblem ist gigantisch. 13 Millionen Tonnen Plastik gelangen jedes Jahr in die Weltmeere. Das Wundermittel aus Erdöl, das seit den fünfziger Jahren die Herzen von Hausfrauen, Konsumenten und Kapitänen der Konsumgüterindustrie höherschlagen lässt, hat sich zu einer der grössten Umweltkatastrophen entwickelt.
Und es wird immer schlimmer: Die Produktion von Plastik beschleunigte sich von 2,3 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 162 Millionen Tonnen 1993 und auf 448 Millionen Tonnen im Jahr 2015. Die Hälfte des je produzierten Plastiks ist seit 2005 hergestellt worden.
Noch düsterer sind die Prognosen: Gelingt es nicht, das Plastikproblem in den Griff zu bekommen, werden 2050 mehr Tüten und Flaschen in den Weltmeeren herumschwimmen als Fische.
Nun geben die für das Plastikproblem hauptverantwortlichen FMCG-Konzerne Gegensteuer. Unternehmen wie Nestlé haben sich dazu verpflichtet, den Gebrauch von Neuplastik bis 2025 um einen Drittel zu reduzieren.
Nachhaltigkeit spielt beim Aktienkurs mit
Gleichzeitig arbeitet der Konzern, der mit 1,7 Millionen Tonnen pro Jahr zu den grössten Plastikverbrauchern gehört, daran, bis 2025 alle seiner Verpackungen auf wiederverwendbar oder wiederverwertbar zu trimmen.
Gestiegenes Umweltbewusstsein in der neuen Chefetage mit Mark Schneider an der Spitze mag dabei eine Rolle spielen. Doch bei der Nachhaltigkeit geht es heute nicht mehr nur ums gute Gewissen, sondern auch um die Kurspflege.
Wer in Nachhaltigkeitsratings in Sachen Packaging gut abschneidet, der darf sich auf eine hübsche Prämie freuen. Bei den hier besonders exponierten Verpackungskonzernen liegt sie bei 25 bis 30 Prozent, bei den Konsumgüterkonzernen dürfte es etwas weniger sein.
Massnahmen gegen Müll sind ein Muss
Auch private Investoren schauen der Industrie immer genauer auf die Finger. «Das Rennen ist lanciert, Unternehmen, die bei den Verpackungen ernsthaft etwas unternehmen, sind im Vorteil», sagt Daniel Suter, Partner bei Bain & Company.
Massnahmen gegen den Müll sind ein Muss. Dafür sorgen auch die Regulatoren, der Druck auf die Industrie steigt: Ab 2021 sind Einweggeschirr und Getränkehalme in der EU verboten.
Ausserdem sollen Unternehmen dazu verpflichtet werden, sich an der Säuberung der Strände zu beteiligen. Und Brüssel arbeitet an einer Kennzeichnung, welche die Umweltbelastung von Produkten für den Konsumenten und die Konsumentin ersichtlich machen soll. Vorbild ist die Ampel für die Nährwerte.
Die Ausgangslage ist klar: Gelingt es der Industrie nicht, das Problem aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen, dürfte es zu weiteren staatlichen Massnahmen kommen.
Gegenläufige Trends
Doch Plastik lässt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. «Beim Plastik kommen verschiedene Anforderungen zusammen – und die laufen längst nicht immer synchron», sagt Daniel Suter.
Auf der Hand liegt, dass die Reduktion von Plastik schnell einmal dazu führen kann, dass Nahrungsmittel weniger sicher sind. Mit anderen Worten: Nahrungsmittel verderben, und das belastet die Umwelt weit mehr als jede Plastikverpackung.
«Die Umweltbelastung, die durch die Herstellung des Inhalts entsteht, ist bei Nahrungsmitteln um ein Vielfaches grösser als jene Belastung, die durch die Verpackung entsteht», sagt Roland Hischier.
Er hat sich bei der Empa auf Life Cycle Assessments spezialisiert, also auf die umfassende Analyse der Umwelteinflüsse bei Produkten. Die beste Verpackung ist diejenige, welche gar nicht erst entsteht: Dieser Maxime mag der Empa-Fachmann deshalb nicht zustimmen.
Zero Waste ist nicht umsetzbar
Mit Konzepten wie Zero Waste kämen nur die wenigsten zurecht, sagt er. Doch auch er stelle sich manchmal die Frage, «ob wir tatsächlich Dutzende Salate und andere Fertigprodukte brauchen, um glücklich zu werden».
Aber Konflikte gibt es nicht nur zwischen verschiedenen Umweltanforderungen wie der Reduktion von Plastik, dem CO₂-Ausstoss oder der Vermeidung von Verschwendung. Dazu kommen gegenläufige Trends beim Konsum.
«Die Konsumenten und Konsumentinnen wollen zwar, dass weniger Plastik verbraucht wird; aber sie wollen eben auch Convenience – und das bedeutet eben oft mehr Verpackung und mehr Umweltbelastung», sagt Unternehmensberater Daniel Suter.
Trotzdem, ein paar Maximen gibt es schon, an die sich die Unternehmen halten können, wenn sie etwas gegen die Vermüllung der Ozeane tun wollen. Dazu gehört, den Plastikverbrauch dort zu reduzieren, wo dies nicht auf Kosten der Sicherheit geht.
Ideale Verpackung gibt es nicht
Auch Monoverpackungen sind sinnvoll. Sie bestehen nur aus einem Plastik und lassen sich deshalb einfacher rezyklieren. Oder Verpackungen, bei denen sich die verschiedenen Materialien einfach trennen lassen.
Klar ist aber auch: Die einzige richtige Verpackung gibt es nicht – und Plastik ist längst nicht immer die schlechteste. Roland Hischier hat das am Beispiel der Ökobilanz von Oliven untersucht, die im Glas, in der Dose oder im Plastikbeutel verkauft wurden.
Überraschendes Fazit: Der Beutel schneidet am besten ab, wenn man tatsächlich alle Umwelteinflüsse in Betracht zieht wie den Energieverbrauch für die Herstellung und den Transport. Dieses Beispiel zeigt: Stereotype Vorstellungen darüber, was umweltfreundlich ist und was nicht, helfen beim Thema Verpackungen nicht weiter.
Diffuse Commitments bei Getränkegiganten
So verursacht die Pet-Flasche mehr als viermal weniger CO₂-Belastung als eine Glasflasche und weniger als die Hälfte der Belastung durch eine Alu-Dose. Die viel gescholtene Pet ist damit weniger umweltbelastend als die Alternativen. Vorausgesetzt, sie wird korrekt entsorgt.
Bei vielen Unternehmen ist deshalb noch ziemlich diffus, wie sie ihre Commitments in Sachen Plastik erfüllen wollen. Deutlich hat sich hier Coca-Cola ausgedrückt.
Der Getränkegigant will bis 2025 für jede Plastikflasche, die er verkauft, eine Plastikflasche rezyklieren. Zudem will das Unternehmen bis 2025 zur Hälfte mit rezykliertem Plastik arbeiten. Coca-Cola verbraucht noch mehr Plastik als Nestlé, nämlich 3 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr.
Daraus lassen sich gegen 100 Milliarden Flaschen herstellen. Bei Danone waren schon 2018 86 Prozent der Verpackungen wiederverwertbar, rezyklierbar oder kompostierbar; bis 2025 will der französische Nestlé-Konkurrent ebenfalls auf 100 Prozent kommen.
Ein Friedhof mit gescheiterten Verpflichtungen
Die Konzerne packen an beim Plastik. Auf einem anderen Blatt steht, ob sie ihre Commitments halten werden. Die Geschichte der in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen spricht dagegen.
Die Industrie sitzt auf einem Friedhof gescheiterter Commitments. Mehr noch: Sie missbrauche das Instrument der Selbstverpflichtung, um gesetzliche Bestimmungen zu verhindern, insbesondere die erwiesenermassen effektiven Pfandsysteme, heisst es in einem eben erst erschienen Bericht der Changing Markets Foundation, einer Stiftung, welche die Nachhaltigkeitsversprechen der Konsumgüterindustrie genau unter die Lupe nimmt.
So kündigte etwa Nestlé Waters Nordamerika 2008 an, den Anteil von rezykliertem Pet bis in zehn Jahren auf 60 Prozent zu verdoppeln. Passiert ist praktisch nichts, der Anteil stieg lediglich von 28,9 auf 29,6 Prozent.
Nestlé teilt dazu mit, das Engagement sei «klar und deutlich». Das Unternehmen setze auf drei Säulen, um die Ziele, die es sich bis 2025 gesetzt habe, zu erreichen: Elimination unnötiger Verpackungen.
Investition in die Infrastruktur der Abfallbewirtschaftung und bessere Konsumenteninformation. In etwas mehr als vier Jahren werden wir mehr wissen.