Wenn die Welt aus dem Corona-Koma erwacht, wird sie eine andere sein: Neue Realitäten entstehen, bestehende Trends beschleunigen sich massiv.
- Kapitel 1Die Industrie dreht die Globalisierung zurück
- Kapitel 2Big Pharma ist nicht mehr böse
- Kapitel 3Gastronomie und Events werden stärker denn je
- Kapitel 4Der Tourismus wird sich auf das Lokale verlagern
- Kapitel 5Onlineshopping hebt ab
- Kapitel 6Die Digitalisierung bekommt einen riesigen Push
- Kapitel 7Die Arbeitswelt wird flexibler und lokaler
- Kapitel 8Das Militär erlebt einen Aufschwung
- Kapitel 9Gesundheits- und Energiepolitik werden nationaler
- Kapitel 10Umweltschutz ist nicht mehr prioritär
- Kapitel 11Die Wohlstandsschere öffnet sich weiter
- Kapitel 12Der Staat wird stärker als je zuvor
- Kapitel 13Die Politik wird nationalistischer und gefährlicher
- Kapitel 14Die geopolitische Orientierungslosigkeit nimmt zu
Corona wird den Bewusstseinswandel beschleunigen – und damit die Rückholung der Wertschöpfung aus dem Fernen Osten.
Für Generika und Medikamente mit abgelaufenem Patentschutz etwa kommen 80 Prozent der Wirkstoffe aus Indien und China – für Pharmaproduzenten ein Klumpenrisiko, wie sich in dieser Krise zeigte, als Indien Exportrestriktionen erliess und in China die Lieferketten zusammenbrachen.
«In Zukunft wird man auf verschiedene Supplier an verschiedenen Standorten setzen, um die Liefersicherheit zu stärken», sagt Joris D’Incà, Schweiz-Chef der Unternehmensberatung Oliver Wyman.
Kritische Komponenten werden in grösseren Mengen gelagert oder – Stichwort vertikale Integration – wenn möglich gleich selbst hergestellt.
Mit entsprechenden Kostenfolgen: «Jeder Lean-Experte wird sich die Haare raufen», sagt Carsten Henkel von der Unternehmensberatung Skyadvisory.
Wertschöpfungsketten werden um 35 Prozent gekürzt
Nicht mehr automatisch der billigste Lieferant, sondern vermehrt der zuverlässigste bekommt den Zuschlag. Das ist häufig der lokal nächstgelegene: Professorin Marin erwartet, dass die globalen Wertschöpfungsketten um 35 Prozent gekürzt werden – «eine konservative Schätzung», wie sie betont.
Die Zementbranche macht es vor. Bei Lafarge-Holcim etwa ging der Betrieb in den drei Schweizer Werken Untervaz, Siggenthal und Eclépens ungestört weiter: «Zement ist ein sehr lokales Business, und wir sind durch Änderungen in den internationalen Lieferantenketten nicht unmittelbar beeinträchtigt», heisst es dort.
Diesen Schritt wird auch IVF Hartmann gehen: Für die Zukunft prüft Firmenchef Martini, Pandemieprodukte in der Schweiz nicht nur in grossen Mengen zu lagern, sondern auch zu produzieren: «Durch Corona gibt es hierzu bereits entsprechende Vorüberlegungen», sagt er.
Seine Branche zählt zu den Gewinnern der Krise, auch reputationsmässig: Desinfektionsmittel ist plötzlich Everybody’s Darling.
Hoffnungsträger der ganzen Welt
Ähnliches gilt für die Pharmaindustrie. Jahrzehntelang galt Big Pharma als böse, wegen der hohen Medikamentenpreise, wegen Tierversuchen, wegen Abzockerlöhnen, wegen zweifelhafter Praktiken bei der Beeinflussung von Ärzten.
Jetzt ist die Branche der Hoffnungsträger der ganzen Welt: Denn nur ein Impfstoff oder ein Gegenmittel kann die Gefahr durch Covid-19 dauerhaft beseitigen.
Dass die Branche sinnvolle Produkte herstellt, weil Volksgesundheit das höchste Gut ist, gibt ihr wertvolle Argumente in der Diskussion um Werte und Daseinsberechtigung, die von Novartis-CEO Vas Narasimhan und den jungen Chefs seiner Generation selbst angestossen wurde.
Bereits jetzt hat die Pharmaindustrie viel Goodwill geschaffen: Sie konnte zeigen, welches Wissen sie über Krankheiten hat, wie schnell sie Corona-Tests entwickeln und in grossen Mengen produzieren konnte, wie flexibel sie ist bei der Prüfung vorhandener Medikamente – etwa Malariamittel – für neue Anwendungen.
Trumps Lob für Roche
So lobte US-Präsident Donald Trump speziell Roche gleich mehrmals vor den Kameras. Doch nicht nur die Pharmariesen, auch BioTech-Start-ups sammeln Punkte: «Die ersten Teilerfolge kommen bisher eher von kleineren Firmen, die mit Big Data und GenTech an einem Impfstoff forschen», sagt Berater Joris D’Incà: «Sie haben eine schnellere Reaktionszeit als die R&D-Maschinen vieler Grosskonzerne.»
Auch finanziell profitiert die Branche: Die Forschung an einem aktuellen Impfstoff wird von zahlreichen Staaten, Stiftungen und Institutionen mit Milliarden gefördert, mittelfristig wird auch die Grundlagenforschung gegen Epidemien unterstützt werden.
Denn nach SARS, Schweinegrippe, Vogelgrippe und Corona ist klar: Die nächste Seuche kommt bestimmt.